Gipfel in Brüssel Die anderen Sorgenkinder der EU
Das Brexit-Drama ist nicht die einzige Herausforderung für den EU-Gipfel. Ausgerechnet der ehemalige Hoffnungsträger Macron ist zum Sorgenkind geworden - was auch mit Italien zu tun hat.
Von Ralph Sina, ARD-Studio Brüssel
Der Brexit ist klar Thema Nr. 1 beim letzten EU-Gipfel im Jahr 2018, der heute und morgen in Brüssel stattfindet. Doch auch die Zugeständnisse des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an die "Gelbwesten"-Proteste sorgen für Gesprächsbedarf.
Macrons Versprechen, ab 2019 das monatliche Grundeinkommen um einhundert Euro aus der Staatskasse zu erhöhen und Überstunden und Renten unter 2000 Euro nicht mehr zu besteuern, reißt zwangsläufig gewaltige Löcher in den Staatshaushalt. Auf bis zu zehn Milliarden Euro jährlich belaufen sich die Mehrausgaben.
In einer Fernsehansprache hatte Präsident Macron als Reaktion auf die "Gelbwesten"-Proteste Mehrausgaben für Geringverdiener und Rentner angekündigt.
Neuverschuldung in Frankreich steigt stark
Bei seinem Amtsantritt hatte Macron angekündigt, solide zu haushalten, damit Frankreich sich zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder an die Defizitkriterien des Stabilitäts- und Wachstumspaktes halten kann. Nun droht der französische Präsident, die Neuverschuldung massiv in die Höhe zu treiben - von geplanten 2,8 auf bis zu 3,5 Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung im kommenden Jahr. Eine klare Verletzung der Drei-Prozent-Defizitgrenze.
Damit spielt Macron seinen schärfsten rechts- und linkspopulistischen Kontrahenten in Rom in die Hände. Wenn die EU die für 2019 geplanten Milliarden-Mehrausgaben Macrons hinnehme und gleichzeitig das italienische Budget mit seinen Mehrausgaben abweise, dann wäre dies das Ende der EU, warnte vor dem EU-Gipfel bereits ein Mitglied der italienischen Regierung.
Doch EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici wies die Italiener darauf hin, dass die französischen Altschulden weit geringer sind als die italienischen. In Frankreich beläuft sich die Gesamtverschuldung auf 97 Prozent der Wirtschaftsleistung, in Italien hingegen auf 133 Prozent.
Italien lenkt bei Neuverschuldung ein
Die Argumentation der EU-Kommission zeigte vor Gipfelbeginn erste Wirkung: Italien ist bereit, seine für das kommende Jahr geplante Neuverschuldung zu reduzieren, teilte Italiens Regierungschef Giuseppe Conte in Brüssel mit. Zwar nur geringfügig, nämlich von 2,4 auf 2,04 Prozent - aber immerhin.
Ob dieses Einlenken die EU dazu bewegt, ihr Defizitverfahren gegen Italien einzustellen, ist allerdings offen. Intensive Diskussionen innerhalb der Eurogruppe und mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sind also bei diesem Gipfel programmiert.
Macrons Reformideen gescheitert
Dabei war dieser Gipfel eigentlich als ein später Triumph für Macron geplant. Nächtelang hatten Bundesfinanzminister Olaf Scholz und seine französischer Kollege Bruno Le Maire überlegt, wie sie Macrons EU-Reformideen akzeptabel machen könnten. Doch alle Treffen nutzten wenig: Macrons Idee, durch eine Digitalsteuer für mehr Gerechtigkeit in der EU zu sorgen, und Milliardenkonzerne wie Apple, Facebook und Amazon angemessen zu besteuern, scheitert an EU-Steuerparadiesen wie Irland.
Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (l.) und und sein französischer Kollege Bruno Le Maire hatten sich bemüht, Macrons Reformideen umzusetzen:
Von der Idee, durch ein spezielles Eurobudget im EU-Haushalt Euro-Krisenländer wie Italien zu stärken, sind vor allem die Niederländer und mehrere Nicht-Eurostaaten nicht wirklich überzeugt. Die Finanztransaktionssteuer, mit der Macron dieses Budget finanzieren wollte, ist ebenfalls vom Tisch.
Ein Macron-Festspiel wird dieser Gipfel also mit Sicherheit nicht. Nur eines ist sicher: Sollte der Brexit tatsächlich kommen, wird die Gemeinschaft der Eurostaaten wichtiger denn je. Denn, so betont Bundesfinanzminister Olaf Scholz : "Wenn Großbritannien die EU verlassen haben wird, entstehen über 85 Prozent der Wirtschaftsleistung im Euroraum." Weitere Euro-Reformen sind also dringend notwendig, von diesem Gipfel aber kaum zu erwarten.