Konflikte in den Ex-Sowjetrepubliken Wunden, die nicht heilen
Wenn die militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine abflauen, bleibt ein zerstörtes Konfliktgebiet mit traumatisierten Einwohnern. Ihnen droht ein Schicksal wie anderen Konfliktzonen.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
Ausgebrannte Wohnungen in Plattenbauten aus sozialistischen Zeiten, zerschossene Panzer, zwischen Trümmern ältere Frauen in Kittelschürzen, Männer auf Krücken und Kinder, traumatisiert vom Krieg.
Diese Bilder sind seltsam vertraut: Nicht allein die Regionen um Lugansk und Donezk in der Ostukraine sind auf diese Weise gezeichnet. Im postsowjetischen Raum gibt es vier Gebiete, in denen Sezessionskriege ebensolche Zerstörungen anrichteten - das zur Republik Moldau gehörende Transnistrien, die Regionen Abchasien und Südossetien in Georgien sowie die Region Berg-Karabach, um das sich Armenien und Aserbaidschan streiten.
Wenn der Waffenstillstand in der Ostukraine halten sollte oder die Kämpfe zum Winter hin abflauen, droht der Region ein Schicksal wie den vier anderen Konfliktzonen. Sie könnte zu einem "eingefrorenen Konflikt" werden. Allerdings beschreibt "eingefroren" die Lage nicht recht. Passender wäre es, von einer schwärenden Wunde zu sprechen, einer Wunde, die nicht ausheilt und auf gesundes Gewebe überzugreifen droht.
Nationalismus trieb Zerfall der Sowjetunion voran
Wie in der Ostukraine liegen die Ursachen der vier anderen Konflikte im Streit um Sprachen und die Machtverteilung zwischen ethnischen Mehrheiten und Minderheiten. Diese Konflikte wurden um die Wende zum 20. Jahrhundert geschürt durch den aufkeimenden Nationalismus und zu Sowjetzeiten durch den Umgang Moskaus mit den Völkern und Ethnien nach dem Prinzip "Teile und herrsche".
Als die Sowjetführung Ende der achtziger Jahre die Zügel lockerte, setzten sich zumeist nationalistisch gesinnte Intellektuelle an die Spitze der Protestbewegungen in den Sowjetrepubliken. Sie trieben nicht nur die Loslösung von Moskau voran. Sie trugen auch dazu bei, dass aus den Konflikten offene militärische Auseinandersetzungen wurden. So wird dem ersten georgischen Präsidenten, dem Schriftsteller Swiad Gamsachurdia, die Parole "Georgien den Georgiern" zugeschrieben, dies in einem Land, in dem es neben Abchasen und Südosseten viele andere Minderheiten gibt.
Ordnungsmacht Russland
Moskau spielte und spielt in all diesen Konflikten eine Rolle. Allerdings engagierte sich zu Beginn der neunziger Jahre auch kein anderer Staat mit Truppen vor Ort für eine Beilegung der Kriege in Moldawien, Georgien und Berg-Karabach. Als zum Beispiel georgische Sicherheitskräfte im Sommer 1992 in Abchasien am Schwarzen Meer einmarschierten, evakuierte die russische Armee praktisch vom Strand weg die Urlauber und half auch vielen Georgiern, der Kriegszone zu entkommen.
Dass jedoch am Ende in allen Konfliktgebieten die Kräfte gewannen, die für eine Abspaltung kämpften, geht zu einem Teil auf die Unterstützung russischer Truppen für die Separatisten zurück. Dennoch will Russland, wie jetzt in der Ukraine-Krise, nicht als Konfliktpartei, sondern nur als Vermittler behandelt werden.
Erfolglose internationale Vermittlung
An einer Lösung der Konflikte versuchten sich über die Jahre viele Akteure. Doch in allen Konfliktzonen folgte auf ruhige Nachkriegsphasen und vereinzelte Verhandlungsfortschritte eine neuerliche Zunahme der Spannungen.
Im Berg-Karabach-Konflikt zum Beispiel stehen sich heute hochgerüstete Kampftruppen gegenüber. Anfang August kam es dort zu den schwersten Zwischenfällen seit dem Waffenstillstand 1994. Dies liegt nicht nur am Unwillen der Führungen Armeniens und Aserbaidschans, den Zustand zu überwinden. Mit dem Konflikt rechtfertigen sie schließlich auch die autokratische Regierungsführung in den eigenen Ländern.
Auch die internationalen Vermittler bewirkten in mehr als 20 Jahren Verhandlungen keine Veränderung. Die "Minsk Group" der OSZE mit Russland, den USA und Frankreich als Co-Vorsitzenden verlor viel Vertrauen, auch weil ihre Arbeit weitgehend intransparent ist. Außerdem heizt Russland als militärische Schutzmacht Armeniens und Waffenlieferant Aserbaidschans die Spannungen immer wieder an.
Machtlose Friedensmission auch in Georgien
Wie machtlos internationale Friedensmissionen sein können, zeigte sich auch in Georgien. Zwar beschrieben Beobachter der UNO und der OSZE in Berichten die zunehmende Aktivität von Separatisten-Milizen und georgischen Innenministeriumstruppen um die Konfliktgebiete Abchasien und Südossetien weit vor dem Jahr 2008 hin. Auch registrierten sie die alarmierende Zahl der Zwischenfälle. Doch gelang es trotz diplomatischer Anstrengungen nicht, den Krieg zwischen Georgien und Russland im Sommer 2008 zu verhindern.
Kämpfer und Milizen mischten mit
Wie auf der Krim und in der Ostukraine kämpften schon in den neunziger Jahren und 2008 in Georgien irreguläre Kämpfer und Truppen. Es gibt Hinweise darauf, dass einige zumindest mit Unterstützung Moskaus handelten. Dies geht zum Beispiel aus einem Interview hervor, das Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch 1993 mit sechs Russen in Abchasien führten. Diese gehörten zu einer Gruppe von ursprünglich 30 Soldaten und KGB-Mitarbeitern, die nicht nur im Krieg um Abchasien, sondern auch in Transnistrien und anderen Orten gekämpft hatten. Sie gestanden ein, dass sie zumindest logistisch von der russischen Regierung unterstützt wurden.
Im August 2012 gab Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich zu, dass Russland südossetische Milizen für einen militärischen Einsatz gegen Georgien ausbildete und diese 2008 "sehr mutig" gegen die Georgier kämpften. Damit brach Russland nicht nur das Waffenstillstandsabkommen. Südossetische Milizen hatten auch zur Zunahme der Spannungen und damit zum Ausbruch des Krieges beigetragen. Während der Kämpfe zwischen russischer und georgischer Armee begingen sie Verbrechen gegen die georgische Zivilbevölkerung.
Mehr als nur Verteidigung
Die russische Armee marschierte 2008 zum Schutz der eigenen Friedenstruppen in Südossetien und stoppte den Vormarsch der georgischen Armee dort. Doch gingen die russischen Militäraktionen in Georgien danach "weit über ein vernünftiges Maß an Verteidigung" hinaus, stellte eine internationale Untersuchungskommission unter Leitung der Schweizer Diplomatin Heidi Tagliavini fest. Noch nach einem Waffenstillstandsabkommen richtete das russisches Militär "ungerechtfertigte Zerstörungen" an der georgischen Infrastruktur an und warf das Land damit in seiner Entwicklung zurück.
Unter Bruch eines von der EU ausgehandelten Abkommens errichtete Russland danach in Südossetien und Abchasien eine umfangreiche Militärinfrastruktur, die militärstrategischen Zielen noch über Georgien hinaus dienen kann.
Der Schweizer Diplomatin Tagliavini dürfte all dies bewusst gewesen sein, als sie in Minsk im Auftrag der OSZE den aktuellen Waffenstillstand für die Ostukraine mit aushandelte. Doch wird die OSZE kaum verhindern können, dass die Regionen Donezk und Lugansk ein ähnliches Schicksal erfahren wie die anderen Konfliktgebiete. Sie sind aufgrund ihrer Isolation verarmt und in ihrer Entwicklung behindert. Zwar fließt Geld aus Moskau nach Transnistrien, Abchasien und Südossetien. Doch die grassierende Korruption sorgt dafür, dass ein großer Teil verschwindet.