Forschung zu Ebola-Impfstoffen "Keine Hilfe für aktuelle Epidemie"
Bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Ebola gibt es Fortschritte. Doch in der aktuellen Epidemie wird das nichts mehr nützen, meint Ebola-Experte Schmidt-Chanasit. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt er, was noch getan werden muss.
tagesschau.de: Kurz nach Ausbruch der Ebola-Epidemie in Westafrika gab es die Hoffnung, dass experimentelle Wirkstoffe wie ZMapp rasch Abhilfe schaffen könnten. Wie weit ist die Forschung hier inzwischen?
Jonas Schmidt-Chanasit: Bezüglich ZMapp war ich ja damals schon sehr skeptisch und meine Befürchtungen haben sich bestätigt: Einige Patienten haben es bekommen, davon ist ein spanischer Patient gestorben, ein ärztlicher Mitarbeiter in Afrika hat starke Nebenwirkungen entwickelt und zwei US-Amerikaner sind wieder gesund geworden. Wir wissen aber nicht, ob das auf ZMapp zurückzuführen ist. Weil die Datenlage sehr schlecht ist, gibt es nach wie vor keine Hinweise darauf, dass ZMapp wirklich hilft. Und weil es sehr lange dauert, bis der Wirkstoff nachproduziert werden kann, ist er im Moment auch gar nicht mehr verfügbar.
tagesschau.de: Gibt es inzwischen andere Medikamente, die helfen könnten?
Schmidt-Chanasit: Es gibt eine Reihe von Medikamenten, die mal im Gespräch waren. Fortschritte sehe ich aber nur beim Medikament T-705, auch Favipiravir genannt. Das gibt es - anders als ZMapp - in ausreichenden Mengen, die Nebenwirkungen sind bekannt, weil es alle wichtigen klinischen Testphasen bereits durchlaufen hat und es wurden bereits vereinzelt Patienten damit behandelt. Unter anderem der Ebola-Patient in Frankreich, der überlebt hat. Es soll in den nächsten Wochen oder Monaten zugelassen werden, das ist nur eine Frage der Bürokratie. Wir wissen aber auch bei diesem Medikament noch nicht, ob es wirklich wirksam ist. Um das herauszufinden, sind jetzt Studien in Guinea geplant.
"Man kann nicht einfach Pillen verteilen"
tagesschau.de: Wenn Sie sagen, T-705 wäre in ausreichenden Mengen vorhanden, heißt das, auch die breite Bevölkerung könnte damit behandelt werden?
Schmidt-Chanasit: Nein. Dafür haben wir in den betroffenen Ländern immer noch ein viel zu großes Problem der Infrastruktur. Man kann bei solchen Medikamenten nicht einfach hergehen und Pillen verteilen. Man muss sie koordiniert einsetzen, muss genau schauen, wem gibt man es wann, in welchem Zustand ist der Patient. Diese Daten sind enorm wichtig, sie müssen gesammelt werden, um später beurteilen zu können, ob das Medikament wirklich hilft.
tagesschau.de: Gibt es andere Therapien, die Hoffnung machen?
Schmidt-Chanasit: Es gibt die Serum-Therapie, bei der man Blut von Gesunden nimmt und es Ebola-Patienten gibt. Aber auch diese Therapie ist umstritten, zumal sie sich vor Ort sehr schwer anwenden lässt. Man muss dieses Blut ja zunächst auf HIV und Hepatitis testen lassen und dazu fehlen wiederum Personal und Labore. Davon abgesehen ist es fraglich, ob das wirklich hilft. Es gibt dazu zwar unterschiedliche Daten, aber es überwiegt die Ansicht, dass diese Therapie eher eine Art Verzweiflungstat ist und nichts bringt.
"Impfstoff zunächst für medizinisches Personal"
tagesschau.de: Wie weit ist die Entwicklung von Impfstoffen, die ja Menschen davor schützen sollen, überhaupt erst an Ebola zu erkranken?
Schmidt-Chanasit: Es gibt zwei sehr aussichtsreiche Impfstoffe. Einen Adeno-Virus-basierten Impfstoff und den Impfstoff VSV-EBOV, der in Kanada und übrigens auch in Marburg mitentwickelt wurde. Beide sollen jetzt getestet werden. Wenn alles ideal läuft, könnten vom VSV-Impfstoff Mitte nächsten Jahres genügend Dosen vorhanden sein, um das medizinische Personal vor Ort zu impfen. Aber nur wenn alles perfekt läuft und davon ist nicht unbedingt auszugehen. Die mangelnde Infrastruktur vor Ort und bürokratische Abläufe bei den Herstellerfirmen könnten für Komplikationen und Verzögerungen sorgen.
tagesschau.de: Könnten diese Impfstoffe noch bei der aktuellen Epidemie Abhilfe schaffen?
Schmidt-Chanasit: Nein, diese Impfstoffe werden den aktuellen Ausbruch nicht eindämmen oder beenden. Der Impfstoff wird nicht schnell genug zur Verfügung stehen, um das in den nächsten Wochen und Monaten zu schaffen und er würde auch nicht in ausreichenden Dosen zur Verfügung stehen.
"Der Fall Nigeria zeigt, dass es geht"
tagesschau.de: Was braucht es stattdessen?
Schmidt-Chanasit: Die klassischen Maßnahmen: Behandlungszentren und Labore, beispielsweise um Ebola-Patienten von Malaria- oder Typhus-Erkrankten zu unterscheiden und zu trennen. Es muss genügend Personal geben, das alle Kontakte eines Erkrankten ausfindig macht und die Beerdigungen müssen sicher sein. Das sind die Maßnahmen, die in Nigeria und im Senegal funktioniert haben, weshalb diese beiden Länder von der WHO inzwischen als Ebola-frei deklariert werden. Gerade der Fall Nigeria zeigt uns, dass es Hoffnung gibt, dort sah die Lage sehr dramatisch aus und es hat trotzdem funktioniert.
Es gibt einen Richtwert: Wenn man 70 Prozent aller infizierten Patienten sicher behandeln und in Isolierbetten unterbringen und 70 Prozent aller Toten sicher beerdigen kann, dann kann man Ebola unter Kontrolle bringen. Das ist jetzt das Ziel der WHO in den nächsten 60 Tagen, allerdings ist es ein sehr optimistisches Ziel. Wir sind momentan noch weit davon entfernt, das zu erreichen. Derzeit fehlen 3300 zusätzliche Betten in den drei betroffenen Ländern und wir wissen noch nicht, wo die herkommen sollen. Da wäre - über die von der Staatengemeinschaft angekündigten Hilfe hinaus - noch viel mehr notwendig. Und das steigert sich dramatisch: Nächste Woche sind es vielleicht schon 4000 benötigte Betten, hinzu kommt ein gewaltiger Bedarf an medizinischem Fachpersonal.
"Auch andere gefährliche Erreger nehmen zu"
tagesschau.de: Kritiker sagen, es gibt noch keinen Impfstoff gegen Ebola, weil sich viel zu lange niemand für Ebola interessiert hat. Besteht die Gefahr, dass die Forschung nach einem Abebben der Epidemie wieder nachlässt?
Schmidt-Chanasit: Das glaube ich nicht. Es gibt jetzt eine so große Aufmerksamkeit für das Virus, auch in der Politik, dass jetzt nachhaltige Projekte angeschoben werden. Ich sehe hingegen die Gefahr, dass jetzt die anderen Erreger, die das gleiche Potenzial haben wie Ebola, weniger beachtet werden. Es gibt eine Reihe ähnlich gefährlicher und durch Tiere auf den Menschen übertragbare Erreger, die in Westafrika zirkulieren, beispielsweise das Marburg-Virus oder das Lassa-Virus. Man darf deshalb jetzt nicht alle Mittel ausschließlich in die Ebola-Forschung stecken, sondern muss auch die Forschung der anderen Erreger nachhaltig stärken. Denn die Ansteckungsgefahr bei solchen Viren nimmt zu, weil der Mensch immer stärker mit wilden Tieren in Berührung kommt, die solche Viren auf Menschen übertragen können.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de