Flüchtlingsabkommen mit der EU Warum die Türkei mit dem Ende droht
Seit einem Jahr gilt der Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei. Immer mal wieder droht die türkische Regierung mit dem Ende. Eine ernstzunehmende Drohung? Oder nur eine Drohkulisse?
Die Türkei hält sich bislang an die Abmachungen. Aber der türkischen Führung beliebt es, immer mal wieder mit dem Ende des Flüchtlingspakts zu drohen. Die Warnungen werden zwar in Richtung Brüssel und Berlin ausgesprochen, aber richten sich auch ans eigene Volk.
Zum Beispiel im November 2016: Was damals die türkischen Gemüter erhitzte, war das Votum des EU-Parlaments, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einzufrieren. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan adressierte seinen Ärger darüber direkt an den damaligen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz: "Als 50.000 Flüchtlinge an eure Grenzen drängten, habt ihr aufgeschrien. Und ihr habt euch gefragt, was passieren würde, wenn die Türkei ihre Grenzen öffne. Hör mir mal zu! Wenn du so weiter machst, dann werden sich unsere Grenzpforten öffnen, damit ihr das mal wisst!"
Erdogans Vorwürfe an die EU
Erdogan sah die Türkei wegen ihrer Säuberungspolitik nach dem gescheiterten Militärputsch zu Unrecht in der Kritik. Wer ein humanes Vorgehen gegen mutmaßliche Putschisten fordere, der solle auch selbst Humanität walten lassen. Er warf der EU vor, gegenüber der Menschheit nie aufrichtig gewesen zu sein - und Versprechen nicht zu halten. “Als die Leichen syrischer Babys angeschwemmt wurden, waren wir es, die sie aus dem Wasser geholt haben, nicht ihr. Wir sind es, die 3,5 Millionen Flüchtlinge beherbergen."
Ein anderes Mal war es die in Aussicht gestellte aber noch nicht vollzogene Visa-Freiheit für Türken in der EU, wegen der Erdogan drohte, den Flüchtingspakt zu kündigen. Im Januar kam das Thema noch einmal auf - im Streit über die Auslieferung von acht türkischen Soldaten, die sich in der Putschnacht nach Griechenland abgesetzt hatten. Außenminister Mevlüt Cavusoglu kündigte an, das seit 2002 bestehende Rückführungsabkommen mit Griechenland zu kündigen. Der Flüchtlingspakt mit der EU war damit aber nicht gemeint.
Keine ernsthafte Drohkulisse
Wie es um diesen Pakt steht, wollte eine Delegation des Innenausschusses des Bundestags kürzlich bei Gesprächen in der Türkei in Erfahrung bringen. Eine ernsthafte Drohkulisse konnte der CDU-Abgeordnete Marian Wendt dabei nicht ausmachen. Er habe nicht den Eindruck, dass das von türkischer Seite gewollt sei. "Dafür wird viel zu viel Anstrengung unternommen, dass man diesem Flüchtlingsdeal und das Abkommen einhält."
Trotzdem steht eine mögliche Kündigung immer noch als Druckmittel im politischen Raum, sobald es zwischen Ankara und Berlin kriselt. Erdogan weiß genau, dass sich Bundeskanzlerin Merkel eine neue Flüchtlingskrise vor der Bundestagswahl nicht leisten kann.
Flüchtlingspakt nützt auch der Türkei
Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke sieht keinen Grund zur Beunruhigung. Ihrer Ansicht nach nützt der Deal Erdogan. "Ich glaube, dass er seine Drohgebärden immer wieder ausstößt, wenn ihm innenpolitisch etwas zu weit geht. Zum Beispiel, dass türkische Soldaten in Griechenland Asyl bekommen haben - und dass das möglicherweise auch in Deutschland ansteht."
Der Flüchtlingspakt, so sieht es auch CDU-Mann Wendt, nütze der Türkei weit über den finanziellen Aspekt hinaus. Erdogan habe gar kein Interesse daran, die Syrer auf die Weiterreise nach Europa zu schicken: "Die Türkei hält sich zum einen daran, um hier Stabilität im Land zu erreichen. Sie haben gemerkt, dass sie nicht mehr reines Durchgangsland sind, sondern Zielland. Es gibt ja auch gerade im Bereich der Neuwerbung von Staatsbürgern massive Bestrebungen. Etwa 18.000 Syrer sind bereits türkische Staatsangehörige geworden. Das sind natürlich auch neue Unterstützer von Erdogan."
Gute Zukunftschancen für den Pakt
Welche Absicht auch immer dahinter steckt - die Aufnahme von 2,8 Millionen Flüchtlingen sei eine enorme Leistung der Türkei, sagt Linken-Abgeordnete Jelpke. Dass zu deren Versorgung die Europäer einen erheblichen finanziellen Anteil beitrügen, sei richtig. Die Zahlungen dürften aber nicht als Beruhigungspille für das europäische Gewissen dienen: "Ich finde das sehr problematisch, wie im Moment auch von der EU ein Land gestärkt wird, was auf dem Weg einer Diktatur ist. Man kann hier nicht einfach so fröhlich beklatschen, was hier gerade stattfindet."
Trotzdem hat der Pakt gute Chancen, von keiner der beiden Seiten gekündigt zu werden. Erdogans markige Worte richten sich offenbar vor allem an die eigene, innertürkische Klientel. Sie sollen Stärke und Handlungsfähigkeit des Präsidenten demonstrieren.