Steigende Zahlen Wo Singapurs Corona-Kurs scheitert
Singapurs Wohlstand beruht auch auf den niedrigen Löhnen Zehntausender Wanderarbeiter. Doch sie wohnen dicht gedrängt und abgeschottet. Gerade dort steigen die Corona-Zahlen. Abhilfe? Ist nicht in Sicht.
Als in Deutschland die Freiheiten längst eingeschränkt waren, ging das normale Leben in Singapur noch relativ ungestört weiter: Einkaufsmalls, Restaurants und Schulen blieben geöffnet, von einer Krise war wenig zu spüren auf den Straßen. Wir haben das Virus unter Kontrolle, verkündete Premier Lee Hsien Loong noch Mitte März.
Sehr früh hatte der Stadtstaat umfassend getestet, Infizierte isoliert, deren Kontakte aufgespürt, rigide Quarantäne angeordnet. Singapur galt als Vorbild bei der Bekämpfung der Infektion.
Und dann explodierten die Zahlen regelrecht. Innerhalb eines Monats stiegen sie von rund 600 Fällen auf über 13.000 - soviel wie in keinem anderen Land Südostasiens. Längst lassen sich nicht mehr alle Infektionsketten nachvollziehen. Singapurer dürfen nur noch einzeln auf die Straße. Wer sich gar mit Bewohnern fremder Haushalte trifft, zahlt 10.000 Dollar oder muss sechs Monate in Haft, im Wiederholungsfall verdoppelt sich die Strafe.
Wo Distanz nicht möglich ist
Doch besonders heftig wütet das Virus dort, wo "social distancing" ein Fremdwort bleibt: in den Wohnheimen der Gastarbeiter 17.000 Arbeiter aus Bangladesh, Indien und China leben allein im Tuas Dormitory. Eine lärmende, vollgepackte Welt mit Wohnbaracken, Supermärkten, Sportstudios. Zwölf Männer teilen sich einen Schlafraum mit dichtgestellten Doppelstockbetten.
Es gibt viele solcher Wohnheime, die eher Kleinstädten gleichen, in den Außenbezirken der reichen Stadt - Siedlungen für insgesamt mehr als 200.000 Niedriglohnarbeiter. Zu sehen bekommt man sie nur, wenn sie auf den offenen Pritschen von Lieferwagen zu den Baustellen gekarrt werden, um die ehrgeizigen Architekturträume der Finanzmetropole voranzutreiben.
Ansonsten leben sie streng abgeschottet. Zu ihrem eigenen Schutz, wie dieser Manager der Tuas Dormitory vor Jahren der BBC erklärte: "Viele Singapurer mögen diese Arbeiter nicht in ihrer Nähe haben. Insofern sorgen wir dafür, dass sie weitmöglichst in ihren Heimen bleiben, damit sie glücklich sind. Unser Motto ist: Wir teilen und wir kümmern uns."
Es muss sich etwas ändern
Die Zahl der Neuinfektionen bleibt hoch. 993 waren es am Sonntag. 888 davon entfielen auf die Dormitories. Auch Premier Lee weiß, dass der Umgang Singapurs mit seinen Wanderarbeitern dringend reformbedürftig ist, aber das braucht Zeit. Vorerst werden die meisten Massenunterkünfte hermetisch vom Rest der Stadt abgeriegelt, auch die Unterbringung auf Kreuzfahrtschiffen ist im Gespräch. "Wir kümmern uns um Eure Gesundheit, Euer Wohlergehen und euren Unterhalt", verspricht Lee.
Und an die Familien der Gastarbeiter gerichtet, versichert er: "Wir wissen die Arbeit und den Beitrag ihrer Söhne, Väter und Ehemänner zum Wohlstand Singapurs zu schätzen. Wir fühlen uns verantwortlich für ihr Wohlergehen. Wir werden unser Bestes tun, damit sie sicher und gesund heimkehren können."
Singapur ist mit Deutschland natürlich nicht vergleichbar, kann aber nichtsdestotrotz als Warnung dienen: In nur einer bis zwei Wochen wurde hier das Erreichte verspielt, bevor die zweite Infektionswelle mit ungleich größerer Wucht über die reiche Stadt rollte.