Britische Medienberichte Einig bei der Brexit-Schlussrechnung?
Irgendetwas zwischen 45 und 55 Milliarden Euro - so hoch könnte die Brexit-Schlussrechnung für London werden. Britische Medien berichten über einen Durchbruch bei den entsprechenden Verhandlungen. EU-Verhandlungsführer Barnier sagt allerdings: "Wir arbeiten noch."
London und Brüssel haben sich laut britischen Medienberichten im Streit um die Brexit-Schlussrechnung angenähert. Der "Telegraph" berichtete unter Berufung auf Verhandlungskreise, beide Seiten hätten sich im Grundsatz geeinigt. Eine genaue Summe sei noch nicht festgelegt worden, werde aber je nach Auslegung der Berechnungsmethode zwischen 45 und 55 Milliarden Euro liegen. Auch "Financial Times" und "Guardian" berichteten von einer Einigung.
"Es liegt ein Angebot vor, das für die EU akzeptabel erscheint", sagte der SPD-Europaabgeordnete Jens Geier der Nachrichtenagentur dpa. Er bezog sich auf Informationen der britischen Labour-Partei. Der Charme für Großbritannien sei, dass das Angebot keine Summen enthalte. Das habe die EU aber auch nie gefordert, sagte Geier. Wichtig sei die Bestätigung, dass zum Beispiel langfristige Pensionszahlungen der EU anteilig mitbezahlt würden.
Wie hoch diese Summen sein würden, lasse sich noch nicht exakt berechnen, sagte Geier weiter. Entscheidend sei die Verpflichtung zu langfristigen Zahlungen.
EU-Chefunterhändler Barnier (rechts) - hier im August mit seinem britischen Gegenüber Davis - hat eine Einigung bestritten.
"Wir arbeiten noch"
EU-Verhandlungsführer Michel Barnier wies die Medienberichte allerdings zurück. "Wir arbeiten noch", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Mit Blick auf den EU-Gipfel am 14. und 15. Dezember sagte Barnier am Mittwoch: "Ich hoffe, ich kann dem Europäischen Rat mitteilen, dass es uns in der Zwischenzeit möglich war, eine Vereinbarung auszuhandeln."
Die EU-Kommission wiederum kommentierte die Berichte nicht - aus EU-Kreisen hieß es allerdings, in der Frage gebe es Bewegung. Das Angebot Londons sei vielversprechend, sagten EU-Diplomaten laut der Nachrichtenagentur Reuters. Die EU hatte 60 Milliarden Euro gefordert.
Auch aus London gab es keine offizielle Bestätigung. "Wir untersuchen, wie wir weiterhin auf die jüngste Dynamik in den Gesprächen aufbauen können", teilte das Brexit-Ministerium aber auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa mit. Die "Financial Times" berichtete, Großbritannien habe anerkannt, dass sich die Gesamtverpflichtungen des Landes gegenüber der EU auf bis zu 100 Milliarden Euro beliefen. Die Gesamt-Nettozahlungen dürften sich demzufolge aber über mehrere Jahrzehnte gerechnet auf weniger als die Hälfte dieses Betrages reduzieren.
Wichtiges Signal
Eine Verständigung auf eine Schlussrechnung wäre ein wichtiges Signal, dass beide Seiten auf eine Einigung beim EU-Gipfel zusteuern, die den Start von Gesprächen über den künftigen Status Großbritanniens in den Handelsbeziehungen ermöglichte. Darauf dringt insbesondere die britische Wirtschaft, denn die Unklarheit dämpft die Konjunktur. Die Zeit drängt, weil Großbritannien im März 2019 die Union verlassen will.
Brüssel hatte London bis kommende Woche Zeit für Zugeständnisse bei den Brexit-Verhandlungen gegeben. Bis dahin müsse in drei Punkten ein "ausreichender Fortschritt" erreicht sein, um die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen einzuleiten. Neben der Schlussrechnung geht es um die EU-Außengrenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland sowie die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und der Briten auf dem Kontinent. Die irische Grenzfrage gilt derzeit als heikelster Punkt.
Das Problem der irisch-nordirischen Grenze - bald eine EU-Außengrenze - ist weiter ungelöst.
Kritik von allen Seiten in Großbritannien
Angesichts der in den Berichten angepeilten Summe waren die Reaktionen in Großbritannien überwiegend negativ. Der Chef der EU-freundlichen Liberalen, Vince Cable, zeigte sich besorgt. "Wenn diese Zahlen korrekt sind, dann zahlen wir einen hohen Preis für das Verlassen einer Institution, die unser Land über Jahrzehnte hinweg bereichert hat." Er wiederholte die Forderung seiner Partei, der Bevölkerung in einem zweiten Referendum die Möglichkeit zu geben, sich von dem EU-Austritt zurückzuziehen.
Der Labour-Abgeordnete Chuka Umunna beklagte derweil, dass Brexit-Befürworter wie Außenminister Boris Johnson und Umweltminister Michael Gove niemals gesagt hätten, dass es eine "hohe Rechnung für die Scheidung" geben werde - "ganz im Gegenteil".
Der ehemalige Ukip-Chef Nigel Farage, der maßgeblich am Zustandekommen des Brexit-Referendums beteiligt war, nannte die mutmaßliche Einigung einen "Ausverkauf". "Ich habe immer argumentiert, dass kein Deal besser ist als ein schlechter", sagte der Europaparlamentarier am Dienstag. "55 Milliarden Euro zum Verlassen der EU ist ein sehr, sehr schlechter Deal."