Johnsons Rede zum Brexit "Moment der echten nationalen Erneuerung"
In einer Rede kurz vor dem EU-Austritt hat Großbritanniens Premier Johnson die Chancen betont, die der Brexit biete: Er sprach von einem "Moment der Erneuerung und des Wandels".
Kurz vor dem Brexit hat Großbritanniens Premierminister Boris Johnson in einer Ansprache das historische Ereignis als Neuanfang für sein Land gewürdigt. "Für viele ist dies ein erstaunlicher Moment der Hoffnung, von dem sie dachten, dass er niemals käme", sagte er in der per Videobotschaft verbreiteten Rede. Andere fühlten angesichts des EU-Austritts Unsicherheit und Verlust - und dann gebe es einen Teil der Gesellschaft, "vielleicht der größte", der sich Sorgen machte, dass das mit dem Brexit verbundene Ringen nie zu einem Ende komme. "Ich kann all diese Empfindungen verstehen", sagte Johnson - seine Aufgabe sei es nun, das Land zu einen und voranzubringen.
Der Brexit sei kein Ende, sondern ein Anfang: "Dies ist der Moment, in dem der Morgen anbricht und der Vorhang für einen neuen Akt unseres nationalen Theaterstücks aufgeht", sagte er. "Es ist ein potenzieller Moment der echten nationalen Erneuerung und des Wandels."
Johnson stellte bessere Verbrechensbekämpfung, im Bildungs- und Gesundheitssystem sowie einen Ausbau der Infrastruktur in Aussicht. "In unserer Diplomatie, unserem Kampf gegen den Klimawandel, den Kampagnen für Menschenrechte und Bildung für Mädchen und Frauen oder Freihandel werden wir Muskeln wiederentdecken, die wir jahrzehntelang nicht benutzt haben." Darin liege "die Kraft des unabhängigen Denkens und Handelns".
"Friedliche Kooperation" mit der EU
Der britische Premier äußerte sich in seiner Ansprache auch zum künftigen Verhältnis zur Europäischen Union: Der Brexit solle "eine neue Ära der friedlichen Kooperation zwischen der EU und einem energetischen Großbritannien" einläuten.
Johnson kündigte an, bereits am Montag in einer weiteren Rede seine Verhandlungsziele für die anstehenden Gespräche über die zukünftige Beziehung zur EU vorzustellen. Einem Bericht des "Daily Telegraph" zufolge zielt er darauf, Großbritannien von EU-Regeln zu lösen - auch wenn er dafür Handelsschranken wie Zölle in Kauf nehmen muss.
Einem Regierungssprecher zufolge will Johnson hingegen ein Freihandelsabkommen mit der EU nach dem Vorbild Kanadas aushandeln - entsprechende Pläne habe er bei einer Sondersitzung des Kabinetts am Freitag vorgestellt.
Freihandelsabkommen mit EU angestrebt
Um Mitternacht kontinentaler Zeit tritt das Vereinigte Königreich offiziell aus der Europäischen Union aus. Anders als in den zurückliegenden Wochen geplant, verzichtete die britische Regierung auf pompöse Feierlichkeiten: Der Parliament Square in London war mit britischen Flaggen geschmückt, an den Regierungssitz in der Downing Street war ein Countdown projiziert. Bei einem Empfang in der Downing Street sollten englischer Schaumwein und britische Spezialitäten gereicht werden.
Farages Brexit-Partei feiert vor Parlament
Nigel Farage, Gründer und Vorsitzender der Brexit-Partei, feierte hingegen ausgelassener: Die Initiative "Leave means Leave" organisierte ein Fest vor dem Parlament, bei dem Union-Jack-Fahnen geschwenkt und die Nationalhymne "God save the Queen" abgespielt werden sollten. Ein Feuerwerk wurde Farage allerdings untersagt, denn Alkoholkonsum ist auf dem Platz grundsätzlich nicht erlaubt - dennoch waren etliche Festteilnehmer betrunken.
Nigel Farage drückt einem Unterstützer seiner Brexit-Partei in London die Hand.
Ihre Einstellung gegenüber der EU brachten die Anwesenden deutlich zum Ausdruck: Erwachsene animierten Kinder, auf im Matsch liegende EU-Flaggen zu springen, und klatschten ihnen Beifall.
Die EU-Abgeordneten der Brexit-Partei hatten schon am Freitagmorgen ihren "Brexodus" aus Brüssel begangen: "Heute ist der Tag, an dem Großbritannien nach mehr als 40 Jahren wieder frei wird", sagte die Abgeordnete Ann Widdecombe.
Flaggen-Diplomatie in Brüssel
Ende einer Ära: Vor dem europäischen Parlament wird die britische Flagge eingeholt.
Vom EU-Ratsgebäude und den EU-Parlamentssitzen in Brüssel und Straßburg wurde schon etliche Stunden vor dem Brexit die Flagge des Vereinigten Königreichs eingeholt - die "britische Mission in Brüssel", wie sich die bisherige Vertretung Londons bezeichnet, holte ihrerseits die EU-Flagge ein. Am Sitz der schottischen Regierung in Brüssel wurde wiederum eigens die Europafahne gehisst.