Mehrheit für Vertagung Parlament verschiebt Brexit-Abstimmung
Es ist eine Niederlage für Premier Johnson: Das britische Parlament hat eine Verschiebung der Abstimmung über den Brexit-Deal beschlossen. Damit wird ein Austritt am 31. Oktober unwahrscheinlich - Johnson will ihn aber weiter.
Das britische Parlament hat heute nicht - wie eigentlich geplant - über das neue Brexit-Abkommen abgestimmt. Die Abgeordneten votierten stattdessen mit 322 gegen 306 Stimmen für einen Antrag des Abgeordneten Oliver Letwin, wonach zunächst das Gesetzespaket zum Vertrag im britischen Parlament beschlossen werden muss.
Hintergrund ist das Misstrauen vieler Abgeordneter gegen Premierminister Boris Johnson. Das Votum soll sicherstellen, dass Großbritannien Ende Oktober nicht ohne Abkommen aus der EU ausscheidet. Das hätte passieren können, wenn die Abgeordneten dem Deal heute zugestimmt, es dann aber nicht geschafft hätten, die nötigen Gesetzesänderungen bis zum 31. Oktober durchs Parlament zu bringen.
"Ausgezeichnet - Johnson verliert"
Letwin bedankte sich für die Unterstützung aus anderen Parteien für seinen Antrag. Zugleich kündigte er an, sich nicht länger gegen die Regierung stellen zu wollen. Er ist einer der konservativen Abgeordneten, die im September von Johnson aus der Partei ausgeschlossen worden waren, weil sie seinen Brexit-Kurs nicht mittrugen.
Und wie geht es nun weiter? Klar ist, dass die Entscheidung der Abgeordneten eine Niederlage für Johnson bedeutet. "Ausgezeichnet - Johnson verliert weiter", kommentierte die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon die Entscheidung via Twitter. Sie pocht weiter auf ein zweites Unabhängigkeitsreferendum in Schottland.
Unklar, wie das rechtlich gehen soll
Johnson war mit dem Versprechen angetreten, dass Großbritannien auf jeden Fall spätestens am 31. Oktober aus der EU austritt - ob mit Abkommen oder ohne. Im Parlament warb er vehement für eine Zustimmung zu seinem mit der EU ausgehandelten Deal.
Ein Austritt am 31. Oktober ist nun unwahrscheinlich geworden. Glaubt man den Worten Johnsons, ist dieses Datum aber noch nicht vom Tisch. Laut Gesetz muss er zwar bei der EU noch heute einen erneuten Aufschub des Brexit beantragen. Unmittelbar nach der Parlamentsentscheidung sagte er aber, er werde nicht mit der Europäischen Union über eine Verlängerung der Frist verhandeln. Dazu verpflichte ihn das Gesetz nicht, so Johnson. Er wolle das Land weiterhin Ende des Monats aus der EU führen. "Wie das rechtlich zu machen sein soll, ist völlig unklar", so die Einschätzung von ARD-Korrespondentin Annette Dittert.
Sollte der Premierminister den Antrag zur Verschiebung des Ausstiegstermins nicht stellen, könnte das ein gerichtliches Nachspiel haben. Der Court of Session im schottischen Edinburgh will am Dienstag tagen, falls es nötig sein sollte.
Johnson setzt auf Schnellverfahren
Erwartet wird, dass der Premier versuchen wird, den Deal noch rechtzeitig durchs Parlament zu bringen, indem er die entsprechenden Gesetze bereits am Montag vorlegt. Schon am Dienstag könnte dann eine weitere wichtige Abstimmung mit der zweiten Lesung des Gesetzespakets anstehen. Würde es diese Hürde passieren, könnte Johnson damit rechnen, die Unterstützung für den Deal doch noch zu bekommen.
Da der Premierminister im Parlament über keine eigene Mehrheit verfügt, ist er auf die Unterstützung aus der Opposition angewiesen. Die Zustimmung für das Ratifizierungsgesetz ist daher keine ausgemachte Sache. In der Vergangenheit hatte sich das Parlament extrem zersplittert gezeigt. Konsens war bisher nur, dass es keinen ungeregelten Austritt ohne Vertrag geben soll.
Die EU will wissen, was nun ist
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dringt nun auf rasche Erklärungen aus London. "Es ist an der britischen Regierung, uns so schnell wie möglich über die nächsten Schritte zu informieren", sagte Junckers Sprecherin Mina Andreeva.
Die französische Regierung erklärte, niemand habe ein Interesse an einer erneuten Verzögerung beim Austritt Großbritanniens aus der EU. Es sei "ein Abkommen ausgehandelt worden". Es liege nun am britischen Parlament "zu sagen, ob es sie akzeptiert oder ablehnt", erklärte der Élysée-Palast.
Die EU-Botschafter der 27 anderen Mitgliedstaaten kommen morgen Vormittag zusammen, um die neuen Entwicklungen zu bewerten. Über eine erneute Brexit-Verschiebung müssten die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden EU-Staaten nach einem Antrag Londons entscheiden. Dazu müsste EU-Ratspräsident Donald Tusk einen Sondergipfel einberufen.