Sondergipfel zu Belarus EU erkennt Wahlergebnis nicht an
Die EU hat sich in der Belarus-Krise deutlich positioniert. Die Staats- und Regierungschefs erkennen das Ergebnis der Präsidentschaftswahl nicht an. Kanzlerin Merkel verurteilte die Gewalt gegen Demonstranten.
Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten werden das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl in Belarus nicht anerkennen. Die Abstimmung sei weder fair noch frei gewesen, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem EU-Sondergipfel zur politischen Krise in Belarus.
Es gebe keinen Zweifel daran, dass es massive Regelverstöße bei der Wahl gegeben habe, sagte sie nach rund dreistündiger Beratung mit ihren Kollegen. "Wir verurteilen die brutale Gewalt gegen Menschen." Alle Gefangenen müssten bedingungslos freigelassen werden. Zudem setze man sich - wie von der Opposition gefordert - für einen nationalen Dialog ein.
Warnung vor Einmischung von außen
Allerdings dürfe es bei der Lösung der Krise in Belarus keine Einmischung von außen geben, sagte Merkel. Allenfalls könne die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bei einem innerbelarussischen Dialog eine Rolle spielen. Ein Eingreifen Russlands würde die Situation verkomplizieren, warnte Merkel.
Am Freitag hatten die EU-Außenminister bereits Sanktionen gegen Verantwortliche für Wahlmanipulation und Gewalt in Belarus auf den Weg gebracht. Auf Wirtschaftssanktionen hatte die EU verzichtet, weil diese auch die belarussische Bevölkerung treffen würden.
Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja hatte die Europäische Union vor dem Sondergipfel dazu aufgerufen, die Wiederwahl von Staatschef Alexander Lukaschenko nicht anzuerkennen. Die Abstimmung am 9. August sei gefälscht gewesen, sagte sie in einer Videoansprache. Lukaschenko hatte die Wahlen nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Opposition und westliche Regierungen werfen der Regierung aber Wahlbetrug vor und kritisieren Gewalt gegen friedliche Demonstranten.
Opposition bildet "Koordinierungsrat"
Um einen friedlichen Machttransfer in Belarus zu sichern, habe sie die Gründung eines Koordinierungsrates auf den Weg gebracht, sagte Tichanowskaja. Dieser solle umgehend faire und demokratische Neuwahlen für das Präsidentenamt organisieren und strebe dabei einen Dialog mit der jetzigen Staatsführung an. Vor einigen Tagen hatte sie betont, für eine Führung in Belarus zur Verfügung zu stehen.
Lukaschenko warf der Opposition vor, ihr "Koordinierungsrat" laufe auf eine Art Alternativregierung hinaus und sei ein versuchter Staatsstreich. Beteiligte könnten verfolgt werden. "Falls jemand denkt, die Regierung sei gebeugt oder taumelt, liegt Ihr falsch", sagte Lukaschenko bei einem Treffen mit Sicherheitsbeamten. "Wir werden niemals wanken."
Seit der Präsidentenwahl am 9. August gehen die Menschen zu Tausenden auf die Straßen.
Regierung fordert "Frieden und Ruhe"
Nach der Bildung des Rates verhafteten die Behörden weitere Aktivisten. Vor dem seit Montag bestreikten Minsker Traktorenwerk seien Dutzende Menschen verhaftet worden, sagte der Vorsitzende des Streikkomitees, Sergej Dylewski, der Nachrichtenagentur AP. Das Innenministerium sprach von lediglich zwei Festnahmen.
Lukaschenko wies die Regierung seines Landes an, Unruhen zu verhindern und die Grenzen zu stärken und "ein Einsickern von Kämpfern und Waffen" zu verhindern. "Es darf keine Unruhe mehr in Minsk geben", erklärte er laut staatlicher Nachrichtenagentur Belta nach einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates. "Die Leute sind müde und wollen Frieden und Ruhe", sagte der Staatschef. Die Geheimdienste sollen weiter nach den Organisatoren der jüngsten Demonstrationen suchen, meldete Belta.
Dialog mit Merkel als Vermittlerin?
Maria Kolesnikowa vom Koordinierungsrat sagte der Nachrichtenagentur dpa, die Opposition könne sich auch eine Vermittlerrolle von Kanzlerin Merkel vorstellen. "Natürlich begrüßen wir jeden Versuch, einen Dialog in der Zivilgesellschaft zu organisieren", sagte die Oppositionspolitikerin.
Bisher sei ihr "nicht klar, worauf Merkel und Putin bestehen", sagte Kolesnikowa mit Blick auf ein Telefonat Merkels mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vor einigen Tagen, "aber beliebige positive Schritte, die dabei helfen, uns zu vereinen, sind sehr willkommen".
Lukaschenko sehe zurzeit keine Notwendigkeit, mit Merkel persönlich sprechen, sagte dessen Sprecherin Natalia Ejsmont. Er habe aber Putin ausgerichtet, dass dieser mit Merkel über angebliche Einmischung aus dem Ausland sprechen sollte. "Er soll Frau Merkel ausrichten, dass sich weder Deutschland, noch ganz Westeuropa in die inneren Angelegenheiten von Belarus einmischen soll", sagte die Sprecherin im russischen Staatsfernsehen.
Kolesnikowa äußerte sich zurückhaltend zu Sanktionen der EU gegen Belarus oder einzelne Vertreter des Machtapparats. "Ich kann nicht einerseits Dialog und einen friedlichen Machttransfer fordern und auf der anderen Seite für Strafmaßnahmen eintreten gegen die Menschen, mit denen ich reden will." Zuerst müssten alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.
Bisher drei Demonstranten getötet
Bei den Protesten nach der Wahl waren belarussische Sicherheitskräfte teils brutal gegen die Demonstranten vorgegangen. Hunderte Menschen wurden verletzt, Tausende wurden vorübergehend festgenommen. Nach ihrer Freilassung aus dem Polizeigewahrsam berichteten viele Demonstranten von Folter und Misshandlungen.
Bislang kamen mindestens drei Menschen ums Leben. Laut dem belarussischen Gesundheitsministerium starb am Mittwoch ein Demonstrant in einem Militärkrankenhaus. Er sei seinen schweren Verletzungen erlegen, hieß es. Der 43-Jährige war bei einer Demonstration vor einer Woche in der Stadt Brest an der Grenze zu Polen verletzt worden. An diesem Tag hatten Sicherheitskräfte nach Angaben des Innenministeriums bei Protesten scharfe Munition eingesetzt.
Die Tochter des Mannes sagte dem unabhängigen Portal tut.by, ihr Vater habe eine Schusswunde am Kopf mit schwerem Hirnschaden gehabt. Bereits am Wochenende nahmen Tausende Menschen bei Trauerfeiern Abschied von zwei Demonstranten.