Interview

WikiLeaks-Gründer Assange will Auslieferung verhindern "Es wird alles auf den Richter ankommen"

Stand: 14.12.2010 11:02 Uhr

Eine Woche nach der Festnahme des WikLeaks-Gründers Assange fand eine erneute Anhörung in London statt. ARD-Korrespondentin Annette Dittert erläuterte im Vorfeld der Anhörung im Gespräch mit tagesschau.de die Chancen Assanges, eine Auslieferung nach Schweden zu verhindern - und welche Strategien die Anwälte wählen könnten.

tagesschau.de: Um was genau geht es bei der ersten Anhörung im Auslieferungsverfahren um den WikiLeaks-Gründer Julian Assange?

Annette Dittert: Nachdem was seit gestern Abend durchgesickert ist, werden Assanges Anwälte erneut einen Antrag auf Freilassung auf Kaution stellen. Die schwedische Justiz kann das über die britische Staatsanwaltschaft erneut ablehnen, selbst wenn der Richter diesem Antrag heute stattgeben würde. Das hieße für Assange, dass er weiterhin hier im Londoner Wandsworth-Gefängnis sitzen muss - für mindestens weitere 48 Stunden, bis dann in dieser Sache eine erneute Anhörung stattfinden würde.

tagesschau.de: Das Gericht hatte die Freilassung abgelehnt. Warum könnte das heute anders ausgehen?

Dittert: Der britische Richter Howard Riddle konnte Assange vor einer Woche nicht auf Kaution freilassen. Er hatte da kaum die Wahl. Assange ist kein britischer Staatsbürger, und als Ausländer ohne festen Wohnsitz besteht laut britischer Auslegung des Gesetzes klar Fluchtgefahr. Seine Anwälte werden den Richter überzeugen müssen, dass diese Fluchtgefahr nicht mehr besteht. Sie könnten argumentieren, dass sein Gesicht mittlerweile so bekannt ist, dass es so gut wie unmöglich ist, jetzt noch unterzutauchen. Und sie können möglicherweise eine weitaus höhere Summe anbieten. Verschiedene prominente Briten haben bereits finanzielle Unterstützung angekündigt.

tagesschau.de: In einem zweiten Schritt könnte es zum eigentlichen Auslieferungsverfahren kommen. Welche Möglichkeiten haben Assanges Anwälte, das zu verhindern?

Dittert: Sie können das zunächst aufgrund technischer Formfehler tun. Das wäre der einfachste Weg. Dazu müssten sie den schwedischen Behörden allerdings juristische Fehler nachweisen. Was der britische Richter heute nicht kann, ist, über den Fall als solchen urteilen. Ob eine Vergewaltigung vorliegt, das richtet sich allein nach schwedischem Recht und ist allein durch die schwedische Justiz zu überprüfen. Allerdings muss für den britischen Richter erwiesen sein, dass die Anklage, die Assange in Schweden erwarten würde, schwerwiegend genug ist, um eine solche Auslieferung zu rechtfertigen. Auch hier könnten Assanges Anwälte einhaken.

Das hat mit der Natur des Europäischen Haftbefehls zu tun, dessen Sinn und Zweck es ist, dass möglichst schnell ausgeliefert wird, egal wie die jeweilige Justiz des anderen Landes den Fall inhaltlich beurteilt. Insofern ist es schwer für Assange, den Auslieferungsantrag auf Grundlage politischer Motive anzufechten, aber seine Anwälte können es versuchen.

tagesschau.de: Wie?

Dittert: Zum Beispiel, indem sie versuchen, die Tatsache zu problematisieren, dass der ganze Fall von der ersten Staatsanwältin im August fallen gelassen wurde, und erst Monate später von anderer Stelle wieder eröffnet wurde - was in der Tat seltsam ist. In diesem Zusammenhang könnten Assange und seine Anwälte argumentieren, dies sei ein Fall von Missbrauch des Justizsystems aus politischen Gründen. Und die Frage stellen, wieso denn die schwedische Justiz beim ersten Mal keinen Auslieferungsantrag gestellt hatte, Assange stattdessen in Ruhe ausreisen ließ. Dies zeige klar, dass diese zweite Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund der inzwischen "gestiegenen Popularität" Assanges geschehen sei. Das könnte eine Linie sein.

tagesschau.de: Rechtlich hat Assange im Prinzip kaum Möglichkeiten, sich gegen die Auslieferung zu wehren, weil Schweden gegen ihn einen europäischen Haftbefehl erlassen habe, meinte der Strafrechtsprofessor Martin Heger im Interview mit tagesschau.de. Sieht man das in Großbritannien genau so?

Dittert: Im Prinzip ja, mit einem Unterschied: Führende Experten haben noch einmal deutlich gesagt, dass dieser Fall in mehrfacher Hinsicht so ungewöhnlich ist, dass dem Auslieferungsantrag nicht einfach stattgegeben werden muss. Assange ist bis heute in Schweden nicht angeklagt. In einem solchen Fall wäre es genauso gut möglich und eigentlich üblich, dass die schwedischen Staatsanwälte britische Offiziere bitten, Assange in der Sache zu verhören, oder selbst nach London kommen, um hier mit ihm zu sprechen.

Es wird letzten Endes alles auf den Richter ankommen, auf jenen bis jetzt völlig unbekannten Harold Riddle, ob es am Ende zu einer schnellen Auslieferung kommt oder nicht. Aber selbst wenn er heute entscheiden sollte, ihn auszuliefern, Assange kann das immer noch anfechten und dann kann das ganze Verfahren im Extremfall Monate dauern.

Auslieferung in die USA schwierig

tagesschau.de: Jetzt geht es um Vorwürfe, die nur mit der Person Assange zu tun haben und überhaupt nichts mit der Plattform WikiLeaks. Assanges britische Anwältin Jennifer Robinson rechnet aber damit, dass sich Washington ebenfalls um eine Auslieferung Assanges bemühen wird, weil WikiLeaks geheime US-Dokumente veröffentlicht hat. Wie könnte das geschehen?

Dittert: Das ist formal eine sehr schwierige Angelegenheit für die USA. Zurzeit sucht man ja noch nach einem Gesetz, auf dessen Basis man ihn anklagen könnte. Aber selbst wenn die Briten ihn an Schweden ausliefern, können ihn die Schweden nicht einfach in ein nächstes Land "weiterschicken". Sollte Assange, wenn er in Schweden ist, mit einem zweiten Auslieferungsantrag aus Washington konfrontiert werden, dann müssten die britischen Behörden noch einmal neu konsultiert werden und das könnte den Fall ebenfalls weiter in die Länge ziehen.

tagesschau.de: Welche Position nimmt die britische Regierung ein? Sie ist ein enger Verbündeter der USA. Und WikiLeaks hat auch Dokumente enthüllt, die ihre Interesse berühren.

Dittert: Die britische Regierung hat diesen Fall bis jetzt wohlweislich nicht kommentiert.

Studenten demonstrieren mit Assange-Plakaten

tagesschau.de: Wie sieht der Rest der britischen Öffentlichkeit die Angelegenheit?

Dittert: Mit einer gewissen Grundsympathie WikiLeaks und Assange gegenüber. Die Enthüllungen von WikiLeaks haben gerade in den letzten Monaten auch die britische Regierung betroffen, etwa ihre wenig erfolgreiche Militärstrategie in Afghanistan und im Irak. Beides Kriege, die in Großbritannien hoch umstritten und immer noch Thema der öffentlichen Auseinandersetzung sind.

Hinzu kommt, dass in Zeiten härtester Sparpolitik und massenhafter Studentenproteste sich hier gerade eine "David gegen Goliath"-Stimmung verbreitet. Es herrscht das Gefühl der Ohnmacht, gegenüber einer Staats- und Regierungsgewalt, die den einzelnen Bürger nicht mehr schützt. Und das führt zu Sympathie für Assange als "digitalem Robin Hood". Nicht zufällig hatten viele der Studenten letzte Woche auch Assange-Plakate dabei und sehen ihn als einen der ihren. Aber letzten Endes wird dieser Tag so enden, wie es ein zufällig zu dem Fall gekommener Haftrichter entscheidet. Ob politischer Druck dabei eine Rolle spielt? Beweisen kann man das nicht.

Die Fragen stellte Fiete Stegers, tagesschau.de

Das Interview führte Annette Dittert, ARD London