Ukraine-Konflikt Waffen und Worte
Die Bemühungen um eine diplomatische Lösung im Ukraine-Konflikt laufen auf Hochtouren. Staatsmänner und Außenminister sprechen über einen "großflächigen Krieg in Europa", den sie verhindern wollen. Auch Kreml-Chef Putin zeigt sich weiter gesprächsbereit.
Russland ist nach den Worten von Präsident Wladimir Putin offen für weitere Gespräche mit dem Westen zur Beilegung des Konflikts über die Ukraine. Zugleich warf er den USA und ihren Verbündeten vor, die wichtigsten Sicherheitsforderungen seines Landes zu ignorieren. "Wir analysieren die schriftlichen Antworten der Vereinigten Staaten und der NATO sorgfältig", sagte Putin nach Gesprächen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban.
Putin mahnte erneut, dass ein Land seine eigene Sicherheit nicht auf Kosten der Interessen eines anderen Landes durchsetzen könne. Dennoch betonte er: "Ich hoffe, dass wir am Ende eine Lösung finden werden." Dies werde "nicht einfach" werden. Hauptziel Washingtons sei es, Russland "einzudämmen". "Die Ukraine ist nur ein Instrument, um uns in einen bewaffneten Konflikt zu verwickeln", sagte Putin. Er kritisierte, dass Russlands Forderung nach einem Ende der NATO-Osterweiterung abgelehnt worden sei.
Russland hat in den vergangenen Wochen mehr als 100.000 Soldaten samt schwerem Gerät an der ukrainischen Grenze zusammengezogen. Der Truppenaufmarsch nährt Befürchtungen, wonach Russland einen Großangriff auf die Ukraine plant. Der Kreml bestreitet jegliche Angriffspläne auf die Ukraine, führt aber gleichzeitig ins Feld, sich von der NATO bedroht zu fühlen.
Blinken ruft Moskau zu sofortigem Truppenabzug auf
In einem Telefonat forderte US-Außenminister Antony Blinken seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow auf, dass Russland sofort seine Truppen an den Grenzen zur Ukraine abziehen müsse. Ein russischer Einmarsch im Nachbarland hätte "rasche und ernsthafte Konsequenzen", warnte Blinken demnach. In der Krise müsse Russland weiter "einen diplomatischen Weg verfolgen".
Blinken bekräftigte den Angaben zufolge erneut die Unterstützung der USA für die "Souveränität und territoriale Integrität" der Ukraine sowie für das Recht eines jeden Landes, selbst über seine "Außenpolitik und Bündnisse" zu entscheiden. Letzteres ist ein Verweis auf die Ambitionen der Ukraine auf einen Beitritt zur NATO, der von Russland strikt abgelehnt wird. Blinken betonte zugleich die Bereitschaft der US-Regierung zu weiteren Beratungen mit Russland über Sicherheitsfragen.
Verwirrung um angebliche russische Antwort
Die USA und die NATO hatten in der vergangenen Woche schriftlich auf russische Forderungen nach "Sicherheitsgarantien" geantwortet. Eine vom russischen Präsidenten Wladimir Putin verlangte Verzichtserklärung der NATO auf eine weitere Osterweiterung sowie den Abzug von US-Waffen aus Staaten der früheren sowjetischen Einfluss-Sphäre lehnten Washington und die NATO in den Briefen ab.
Die Antwort aus Moskau auf diese Schreiben stehe noch aus, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Er widersprach damit Angaben des US-Außenministeriums, wonach das russische Schreiben am Montagabend (Ortszeit) eingegangen sei. Ein Schreiben an die US-Seite werde erst noch vorbereitet, sagte dagegen Peskow.
Westen ruft Kiew und Moskau zur Deeskalation auf
Die Bemühungen des Westens zur Entspannung wurden in den vergangenen Tagen intensiver. So telefonierte Putin zweimal mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dem Kreml zufolge ist ein persönliches Treffen der beiden Staatschefs in Vorbereitung. Frankreich führt derzeit auch die Ratspräsidentschaft in der EU und vermittelt seit Jahren mit Deutschland im Ukraine-Konflikt. Italiens Regierungschef Mario Draghi warnte in einem Telefonat mit Putin vor "schwerwiegenden Konsequenzen" durch eine Verschärfung der Krise.
Am Mittwoch will der britische Premierminister Boris Johnson mit Putin telefonieren. Er sowie Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki und der niederländische Regierungschef Mark Rutte besuchten indes die ukrainische Hauptstadt, um zur Deeskalation beizutragen und Präsident Wlodymyr Selenskyj den Rücken zu stärken. Polen und die Niederlande hatten der Ukraine bereits die Lieferungen von militärischer Ausrüstung angeboten, Großbritannien lieferte bereits Waffen.
"Das wird ein großflächiger Krieg in Europa"
Johnson und Selenskyj warnten Russland vor einem Einmarsch in die Ukraine. Das wäre "ein massiver strategischer Fehler und hätte hohe humanitäre Kosten", heißt es in einer Erklärung nach dem Treffen beider Staatsmänner. Die ukrainische Armee werde "heftigen und blutigen Widerstand" leisten, sagte Johnson. Diese Nachricht müsse der russischen Öffentlichkeit und den "russischen Müttern" klar sein. Er hoffe sehr, dass Putin sein Militär von der ukrainischen Grenze abziehe und auf Diplomatie setze.
Selenskyj pflichtete dem Premier bei: "Die Ukrainer werden sich bis zum Letzten verteidigen." Die Russen müssten begreifen, dass ein Krieg in einer Tragödie enden würde. Das Land, die Menschen und die Armee hätten sich geändert. "Jetzt wird es keine einfache Besetzung irgendeiner Stadt oder eines Landstrichs mehr geben", betonte der 44-Jährige. "Daher sage ich offen, dass wird kein Krieg zwischen der Ukraine und Russland. Das wird ein großflächiger Krieg in Europa."
Selenskyj will Streitkräfte aufstocken
Unterdessen unterzeichnete Selenskyj ein Dekret zur Ausweitung der Streitkräfte des Landes um 100.000 Soldaten auf insgesamt 350.000 in den kommenden drei Jahren. Vorgesehen ist auch eine Erhöhung der Besoldung.
Der ukrainische Präsident, der in den vergangenen Tagen versucht hatte, die Gemüter im Land angesichts von Ängsten vor einer womöglich unmittelbar bevorstehenden Invasion zu beruhigen, sagte, er habe "dieses Dekret nicht wegen eines Krieges" unterzeichnet. Stattdessen diene es dem Frieden. Der Erlass sieht außerdem eine Beendigung der Wehrpflicht vom 1. Januar 2024 an vor. Zudem erklärte Selenskyj, die Ukraine werde eine neue trilaterale Allianz mit Großbritannien und Polen eingehen.