Rüstungsindustrie Die neue Boombranche der Türkei
Flugzeugträger, Kampfjets, Drohnen oder Kampfhubschrauber: Die türkische Rüstungsindustrie erlebt derzeit einen regelrechten Boom. Die Unternehmen exportieren in 170 Länder der Welt - und die Branche will weiter wachsen.
Der Istanbuler Standort der Firma Baykar ähnelt einem Uni-Campus: Junge Leute, teils im lässigen Schlabberlook, topmoderne Gebäude und offene Büros hinter Glaswänden, in einer Halle spielen zwei junge Männer Tischtennis in ihrer Pause. Das Durchschnittsalter der 4.000 Mitarbeiter liegt bei 29 Jahren. Aber ganz so lässig, wie es scheint, ist die Stimmung nicht: keine Aufnahmen, keine Interviews ist die klare Ansage. Und spätestens auf dem Hof, auf dem eine echte Drohne steht, wird noch einmal deutlich warum: Baykar ist eines der Top-Rüstungsunternehmen der Türkei.
In einem hippen Werbefilm stellt Baykar eines seiner Topmodelle vor - die Bayraktar-Drohne, die beispielweise die Ukraine gegen Russland einsetzt.
Nachwuchs direkt aus der Uni
Bei TAI in Ankara gibt sich vor allem der Chef Temel Kotil deutlich aufgeschlossener. Er ist unheimlich stolz auf sein ebenfalls ziemliches junges Team. "Mein Team arbeitet wirklich Tag und Nacht", ist er voll des Lobes. "Um sie da zu unterstützen, serviere ich ihnen Baklava, also Süßes, weil sie einfach so viele Überstunden machen."
Etwa 15.000 Mitarbeiter, fast die Hälfte davon Ingenieure, bauen Hubschrauber, Flugzeuge und Drohnen - auch für militärische Zwecke. Den Nachwuchs akquiriert TAI direkt von den Unis, mit denen das Unternehmen kooperiert. Anders kann er den hohen Personalbedarf gar nicht decken, meint der Unternehmenschef.
Beim 100. Geburtstag der Republik hat die Türkei stolz ihren ersten Flugzeugträger bei einer Parade im Bosporus präsentiert.
Die jungen Ingenieure dürften deutlich mehr verdienen als bei vielen anderen Firmen in der Türkei, wo viele unter 1.000 Euro bleiben. Zahlen nennen aber weder TAI oder Baykar noch andere Unternehmen der Rüstungsbranche. Die Motivation kommt woanders her, meint Kotil. Einer seiner jungen Mitarbeiter habe ihm beim Geschäftsgrillen erzählt, er sei hier, weil er seine Enkel schützen wolle. "Er ist jung, er hat noch keine Enkel, vielleicht ist er noch nicht mal verheiratet. Aber er setzt darauf, dass die Verteidigungsprojekte sie mal schützen." Die jungen Leute seien sich durchaus bewusst, was auf dieser Welt passiert. "Und in 50 Jahren wird diese Welt wahrscheinlich nicht sicherer sein als heute."
Weiter wachsen, mehr exportieren
TAI will nicht nur wachsen, sondern auch mehr exportieren, wie auch andere türkische Rüstungsunternehmen. Nach Branchenangaben exportiert die Türkei in 170 Länder, darunter neben Deutschland nach Saudi-Arabien oder Katar.
Ob beispielsweise auch der Libanon Rüstungsgüter bekommt - also ob aktuell in Krisengebiete wie den Nahen Osten geliefert wird - verrät der Chef des Verteidigungsunternehmens STM in Ankara, Özgür Güleryüz, nicht und verweist auf die Regierung. "Wir liefern unsere Systeme zu unseren Kunden. Wir haben zum Beispiel die Drohne Kargu 2018 bei den türkischen Streitkräften eingeführt", erklärt er. "Inzwischen haben wir sie in zehn Länder auf der ganzen Welt exportiert. Ich weiß aber nicht, ob die sie im Moment auch einsetzen."
Gut gerüstet, um sich von Kriegen fernzuhalten
Im Ministerium für Industrie und Technologie hält man sich allerdings ebenfalls bedeckt. Keine Angaben zu den Ausschlusskriterien für Rüstungsexporte. Auch hier nennt der stellvertretende Minister Ahmed Yozgatligil als Ziel: So viele erstklassige Rüstungsgüter der Türkei wie möglich in möglichst viele Länder zu exportieren. Dass das die eigene Sicherheit gefährden könnte, glaubt er nicht: "Wir wollen unseren Verbündeten helfen. Die Verteidigungstechnologie sollte für friedliche Zwecke genutzt werden. Man sollte stark sein, um sich von Kriegen fernhalten zu können."
Beim Vorzeigeunternehmen Baykar zeigt der Pressesprecher auf ein leeres Areal auf dem Firmengelände in Istanbul. Hier baut man eine Schule in Kooperation mit dem Bildungsministerium. Baykar will den Kontakt zu den ganz jungen Talenten. Zwölfjährige kommen hier schon jetzt ab und zu vorbei, um sich bei wissenschaftlichen Projekten auszuprobieren, erzählt der Pressesprecher stolz. In den Bücherregalen in der Halle mit der Tischtennisplatte steht die passende Literatur: fast ausschließlich Bücher über das Osmanische Reich.