Vertriebene im Südlibanon "Wo ich jetzt bin, gehöre ich nicht hin"
Entvölkerte Dörfer, zerstörte Häuser: Im israelisch-libanesischen Grenzgebiet bekriegen sich Israels Militär und die Hisbollah seit Monaten. Die geflüchteten Menschen hoffen, irgendwann zurückkehren zu können.
Jeweils zur vollen Stunde verbreitet der Radiosender der Hisbollah seinen Lagebericht aus dem südlibanesischen Grenzgebiet. Und es versteht sich von selbst, dass die Schiitenmiliz in den hauseigenen Verlautbarungen immer nur von Sieg zu Sieg eilt.
Der "islamische Widerstand" habe heute erneut gegnerische Stellungen mit Raketen und Drohnen beschossen, verkündet der Nachrichtensprecher. Die Ziele seien vernichtet, der Feind geschlagen worden. Mit der Wirklichkeit vor Ort hat das wenig zu tun. Seit vergangenem Oktober hat die Hisbollah im Südlibanon mindestens 360 ihrer Kämpfer verloren, auf israelischer Seite sind bislang 14 Soldaten gefallen.
Die Region im Süden Libanons ist von bergiger Landschaft und weiten Tälern gekennzeichnet.
"Jeden Tag Luftschläge"
Was tatsächlich geschieht, erschließt sich nicht in Kriegspropaganda, sondern vor Ort, in den zerklüfteten südlibanesischen Bergen: "Jeden Tag haben wir Luftschläge, jeden Tag greifen die Israelis mit Kampfflugzeugen an. Das könnte auch jetzt passieren. Jederzeit", sagt Hassan und zeigt Richtung Westen.
Es hängt eine beängstigende Stille über dem Land. Ringsum Berge, ein weites Tal, eine verlassene Straße, Luftlinie sind es nur ein paar Kilometer. Sie markieren die Distanz, die in dieser Gegend zwischen Leben und Tod liegen kann. "Das da drüben ist Kfarkela", sagt Hassan, da sei er zu Hause. "Wir mussten weg, weil unser Haus zerstört wurde. Wir haben jetzt erstmal bei anderen Leuten im Hinterland eine kleine Unterkunft gefunden. Aber wir haben unser Haus verloren. Wir leben im Unglück."
Durch Vertreibung verbunden
Kurz nach dem 7. Oktober - dem Tag des Hamas-Angriffs auf Israel - hatte das ARD-Team zuletzt Kfarkela besucht. Die Ortschaft liegt direkt an der libanesisch-israelischen Demarkationslinie und wirkte damals schon wie ausgestorben. Die meisten Einwohner hatten ihre grenznahen Häuser verlassen, als die Hisbollah damit begann, nordisraelisches Grenzgebiet zu beschießen - aus "Solidarität mit Gaza", wie Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah ein ums andere mal bei seinen wöchentlichen Ansprachen schwört.
Jeder Angriff der Schiitenmiliz hat umgehend massive Gegenschläge der Israelis zur Folge. Immer schwerere Waffen kommen zu Einsatz, immer häufiger werden auf beiden Seiten Ziele im Landesinneren attackiert.
Immer wieder treffen Hisbollah-Raketen auch Wohngebäude im Norden Israels - wie hier in Metula. Viele Israelis und Libanesen verbindet, ob sie wollen oder nicht, ein gemeinsames Schicksal.
Nun, acht Monate später, sind die meisten Häuser in Kfarkela zerstört, fast alle Dörfer entlang der Demarkationslinie verlassen und das libanesisch-israelische Grenzgebiet ist entvölkert. Etwa 60.000 Israelis und fast 100.000 Libanesen verbindet - ob sie wollen oder nicht - ein gemeinsames Schicksal: Sie sind zu "displaced persons" geworden: Vertriebene im eigenen Land.
"Wir Zivilisten haben damit nichts zu tun"
Hassan ist zwar bei Verwandten untergekommen, etwa zehn, 15 Kilometer von der Demarkationslinie entfernt. Aber jeden Tag fahren er und ein paar andere auf diesen Berg in die Nähe der Kampfzone, um von hier aus ihr zusammengeschossenes Dorf wenigstens in Sichtweite zu haben.
Sie parken die Autos im Schatten, setzen sich auf eine Schaumstoffmatratze, trinken Tee und schauen bis zum Sonnenuntergang auf Kfarkela. "Warum ich das mache?", fragt Hassan. "Dort, wo ich jetzt bin, gehöre ich nicht hin. Mein Zuhause ist da drüben. Wir sind Zivilisten, wir haben mit all dem nichts zu tun."