Wahl in Russland Stille Zeichen des Protests gegen Putin
In Russland endet heute die dreitägige Präsidentenwahl, bei der der Sieger wohl erneut Putin heißen wird. Die Opposition nutzte den Tag zum Protest. In mehreren Städten soll es Festnahmen gegeben haben.
Warteschlangen vor russischen Wahllokalen. Um 12 Uhr mittags sollten möglichst viele Menschen zusammenkommen - dazu hatte Julia Nawalnaja ermutigt, die Witwe von Alexej Nawalny.
Wie viele dem Aufruf in ganz Russland gefolgt sind, lässt sich noch nicht sagen. In der offiziellen Berichterstattung kommt die Aktion nicht vor. Russische Exilmedien haben die Menschen dazu aufgefordert, Videos und Fotos zu schicken. Dokumentiert ist auf diese Weise, dass zum Beispiel in Moskau, Sankt Petersburg, Nowosibirsk, Irkutsk oder Jekaterinburg jeweils um 12 Uhr Ortszeit einige Dutzend Menschen vor verschiedenen Wahllokalen zusammenkamen.
Festnahmen in mehreren Städten
Ein Reporter von RusNews hat in Nowosibirsk mit jungen Frauen vor einem Wahllokal gesprochen. Eine sagte: "Das Wahlergebnis ist vorhersagbar, aber wir haben getan, was wir konnten, haben die Opposition unterstützt und unsere Meinung zum Ausdruck gebracht." Eine andere Frau erklärte: "Im Wahllokal sind jetzt vor allem viele junge Leute. Die Menschen kommen also, und ich empfehle allen, herzukommen und mit eigenen Augen zu sehen, dass jetzt um 12 Uhr Leute in den Wahllokalen sind."
In Krasnodar gab es vor einem Wahllokal auch Festnahmen, wie ein Amateurvideo zeigen soll. Nach Angaben von Aktivisten wurden auch in anderen russischen Städten Menschen von Sicherheitskräften abgeführt. Ob die Festnahmen mit der 12-Uhr-Aktion zusammenhängen, ist unklar.
Zweifel an den Zahlen zur Wahlbeteiligung
Die offizielle Wahlberichterstattung besteht seit zweieinhalb Tagen im Wesentlichen darin, die Wahlbeteiligung darzustellen. Am Morgen des dritten Wahltags lag sie im ganzen Land demnach bei über 60 Prozent. Unabhängige russische Wahlbeobachter der Organisation "Golos" bezweifeln, dass die Zahlen stimmen. Der Co-Vorsitzende der Organisation, Roman Udot, hat für den Exil-Sender "Dozhd" die Zahlen der Wahlkommission analysiert und Besonderheiten gefunden, die seiner Ansicht nach schwer durch das natürliche Abstimmungsverhalten von Menschen zu erklären sind.
"In Moskau sehen wir keine Auffälligkeiten. Die Wahlbeteiligung steigt zufällig, chaotisch, so wie die Menschen eben zu den Wahllokalen kommen. Moskau ist eine gute Stadt, da gibt es viele Beobachter. In Dagestan, so scheint es, müssten die Leute wie aufgereiht gewählt haben. Da wurde offenbar vorgegeben, hier müssen jetzt 36 Prozent stehen. Und prompt erscheint diese Zahl. Sehen Sie diese Stufen. Schritt für Schritt geht das nach oben", erklärt Udot.
Erste Auszählungsergebnisse am Abend
Inzwischen hat auch der Politiker Boris Nadeschdin seine Stimme abgegeben. Er wollte selbst für das Amt des Präsidenten kandidieren, wurde aber nicht zugelassen. In seinem Wahllokal begrüßten ihn zahlreiche Anhänger und skandierten seinen Namen.
Sein Rat am letzten Wahltag lautet: "Ich glaube, das russische Volk hat heute die Chance zu zeigen, was es von dem, was vor sich geht, hält. Und nicht für Putin zu stimmen, sondern für irgendeinen anderen, so wie ich es getan habe."
Welchen der drei Kandidaten, die außer Putin angekreuzt werden konnten, er meinte, hat er nicht gesagt. Ohnehin ist keiner dabei, der als Konkurrent Putins bezeichnet werden könnte.
Wenn am Abend die ersten Auszählungsergebnisse bekannt gegeben werden, steht der Sieger wohl schon fest. Im Internet kursieren aber auch Fotos von Wahlzetteln, auf die Russinnen und Russen zum Beispiel "Nawalny" oder "Boykott" oder "Putin - Mörder" geschrieben haben. Wie viele es sind, wird wohl das Geheimnis der Wahlkommission bleiben.
Der in Russland zwischen dem 15. und 17. März umgesetzte Prozess einer Präsidentenwahl, bei dem Wladimir Putin eine fünfte Amtszeit erreicht hat, entspricht nicht demokratischen Maßstäben. Die neben Putin zugelassenen drei Kandidaten Nikolai Charitonow (Kommunistische Partei), Leonid Sluzki (rechtpopulistische LDPR) und Wladislaw Dawankow (Vize-Vorsitzender der Duma, Kandidat der wirtschaftsliberalen "Neue Leute") zählen zur Systemopposition, echte Gegner des Kremls und des Angriffskriegs auf die Ukraine waren nicht als Kandidaten zugelassen.
Abgestimmt wurde auch in den besetzten Gebieten der Ukraine - unter fragwürdigen Umständen.
Einen eigentlichen Wahlkampf hatte es im Vorfeld kaum gegeben, wohl aber Berichte unabhängiger Journalisten über Druck auf Beamte und Beschäftigte staatlicher Betriebe, sich zur Abstimmung registrieren zu lassen und mindestens zehn Personen mitzubringen.
Für unabhängige Wahlbeobachter gab es hohe Hürden, etwa wurde die Organisation "Golos" mehrfach als "Ausländischer Agent" gebrandmarkt und aufgelöst. Aus dem Ausland angekündigt waren vor allem Vertreter aus Staaten, die starke Sympathien für die russische Führung hegen wie Serbien beziehungsweise selbst autokratisch bis diktatorisch regiert werden (Venezuela, Myanmar, Kamerun). Aus Deutschland wollten drei Abgeordnete der AfD als "Experten für Demokratie" einreisen.
Bei früheren Wahlen hatte es in Russland stets Meldungen und Beweisvideos von Manipulationen an den Wahlurnen, Mehrfachabstimmungen oder Anreizen wie üppigen Buffets der Regierungspartei "Einiges Russland" in Wahllokalen gegeben. Proteste wurden von Sicherheitskräften in kürzester Zeit unterbunden und zogen meist eine Strafverfolgung nach sich.
Jasper Steinlein, tagesschau.de