Neujahrsfest in China Reisen, feiern und Corona vergessen
Millionen Chinesen feiern erstmals nach drei Jahren wieder das traditionelle Neujahrsfest mit ihren Familien. Auch wenn die Corona-Maßnahmen aufgehoben sind, stehen die Feierlichkeiten im Schatten der Pandemie.
Chinesen in aller Welt haben nach dem traditionellen Mondkalender das neue Jahr begrüßt. Auf das Jahr des Tigers folgt nun das Jahr des Hasen. Das vierte der zwölf Tierkreiszeichen steht in der chinesischen Mythologie unter anderem für Harmonie und Langlebigkeit.
Es ist das erste Neujahrsfest seit der Aufhebung der strengen Corona-Maßnahmen. Millionen Familien können an diesem Wochenende erstmals seit drei Jahren wieder persönlich zusammenkommen. Das Neujahrsfest, auch Frühlingsfest genannt, ist in China das größte Fest des Jahres. Traditionell fahren die Menschen, wo immer sie leben, zu ihren Familien in die Heimat. "Das Frühlingfest ist nur einmal im Jahr, alle Familienmitglieder kommen in ihrer Heimat zusammen", berichtet der 25-jährige Cheng Tianyin dem ARD-Studio Peking. "Die meisten arbeiten woanders, auf dem Land gibt es nicht so viele Arbeitsmöglichkeiten."
Die meisten Chinesen feiern den Beginn des neuen Jahres bei ausgiebigen Abendessen, während im Fernsehen die Neujahrsgala im Staatsfernsehen angeschaut wird.
Gewaltige Reisewelle quer durchs Land
Die Behörden rechnen mit knapp zwei Milliarden Reisen während der insgesamt 40-tägigen Saison, was immerhin rund 70 Prozent des Reisevolumens im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie entspricht.
Viele haben ihre Verwandten seit langer Zeit nicht gesehen. Auch Cheng Tianyin war das letzte Mal vor drei Jahren zum Frühlingsfest in seinem Heimatdorf ganz im Süden des Landesteils Hebei. "Die vergangenen zwei Frühlingfeste habe ich mit meinen Kollegen verbracht, damit ich nicht so einsam war", berichtet er. "Ich rief per Video bei meiner Familie an. Aber ich konnte nicht nach Hause fahren, das war schon etwas traurig."
Cheng Tianyin arbeitet sieben Tage die Woche für einen Lieferdienst in Peking. Die Corona-Welle nach der plötzlichen Öffnung im Dezember hat auch ihn und seine Kollegen getroffen. "Ich war sehr überrascht, dass China plötzlich gelockert hat. In Peking schnellten die Infektionen nach oben. Fünf Kollegen von mir hatten plötzlich Fieber, fühlten sich sehr schlecht, konnten nicht arbeiten."
Drei Jahre mit Reiseverboten, Massentests und Lockdowns
Cheng Tianyin fährt im Zug mit der Nummer K21 von Peking in Richtung Nanning im Landesteil Guangxi, ganz im Süden Chinas an der Grenze zu Vietnam. Es ist ein langsamer Zug mit Schlafwagenabteilen. An Bord sind Menschen, die sich ein teures Ticket für die schnellen Züge oder einen Flug nicht leisten können oder wollen. Es sind Chinesinnen und Chinesen, die in der Hauptstadt häufig im Niedriglohnsektor arbeiten und jetzt nach Hause fahren.
Diese 48-jährige Frau arbeitet als Helferin in einer Küche in Peking und fährt zu ihrer Familie im zentralchinesischen Landesteil Henan. Sie erinnert sich an den Anfang der Corona-Pandemie, als auch ihre Heimat wochenlang im harten Lockdown war. Dazwischen liegen fast drei Jahre strikte Null-Covid-Politik mit Reiseverboten, Massentests, weitgehend geschlossenen Grenzen und nur wenigen Infektionen.
Seit der plötzlichen Öffnung im Dezember und der anschließenden massiven Corona-Welle, die das Land erfasst hat, kann man sich wieder frei bewegen in China. Die Küchenhelferin hat sich bislang nicht angesteckt, erzählt sie. Aber Corona sei inzwischen kein Thema mehr, auch bei ihrer Familie auf dem Land nicht, so die Frau.
Corona-Höhepunkt in Metropolen überschritten
Großstädte wie Peking oder Shanghai sind nach dem großen Covid-19-Ausbruch im Dezember wieder größtenteils zur Normalität zurückgekehrt. Viele Krankenhäuser in unterschiedlichen Landesteilen sind nach ARD-Recherchen nicht mehr so stark belastet, Fieberkliniken teils wieder geschlossen. Medikamente und Schnelltests sind inzwischen leichter verfügbar.
Während sich die Corona-Lage in den großen Metropolen bereits wieder weitgehend normalisiert hat, steht die Belastungsprobe in den Hinterlandprovinzen erst noch aus. Dort ist das Gesundheitssystem im Vergleich nur rudimentär entwickelt, modern ausgerüstete Krankenhäuser sind oftmals mehrere Autostunden entfernt. Gleichzeitig leben in den ländlichen Gegenden vorwiegend ältere Bevölkerungsgruppen, die in China bislang nur unzureichenden Impfschutz genießen: Ein Viertel der über 60-Jährigen ist laut chinesischen Staatsmedien weiterhin nicht geboostert.
Regierung: Rund 80 Prozent waren infiziert
Das in London ansässige Forschungsinstitut Airfinity rechnet damit, dass die derzeitige Corona-Welle in der kommenden Woche mit bis zu 36.000 Toten pro Tag ihren Höhepunkt erreichen könnte. Solche Prognosen stehen in krassem Widerspruch zu den offiziellen Angaben der chinesischen Staatsmedien, die die dramatische Situation gezielt herunterspielen.
Zwar könnten die vielen Reisen während des derzeitigen chinesischen Neujahrfestes stellenweise zu neuen Ausbrüchen führen, sagt der führende Epidemiologe Wu Zunyou. Aber ein massenhaftes Auftreten neuer Infektionen sei unwahrscheinlich.
Insgesamt schätzt China die Gefahr einer neuen großen Infektionswelle in den nächsten zwei bis drei Monaten als gering ein. Rund 80 Prozent der Bevölkerung hätten sich bereits einmal angesteckt, begründet die Regierung in Peking die Prognose.
Behörden versuchen zu beruhigen
Ein Beamter der Nationalen Gesundheitskommission behauptete diese Woche, dass die Anzahl an Patienten mit kritischem Zustand in den Krankenhäusern mittlerweile deutlich unter dem Höchststand vom 5. Januar liegen würde. Die Behörden haben zudem eine Zensurkampagne gestartet, um auf den sozialen Medien gegen "düstere Emotionen" und "Gerüchte" über die Corona-Lage vorzugehen. Keine Negativschlagzeilen sollen die Feststimmung der Chinesen trüben, wenn diese das Jahr des Hasen begrüßen.
Internationale Experten bleiben weiterhin skeptisch, schließlich lassen sich die offiziellen Angaben kaum überprüfen. Das liegt auch an der zunehmenden Intransparenz der staatlichen Stellen.