Israel und die Hamas Der Krieg in den Köpfen
Der Nahostkrieg wird nicht nur mit Bomben und Raketen, sondern auch mit Bildern geführt. Israel will Stärke vermitteln, die Hamas setzt auf Angst und Schrecken.
Auf einem Armeejeep thront ein übergroßer Chanukka-Leuchter. Ein Kommandant der israelischen Armee spricht in sein Feldtelefon. Der Leuchter wird auf einem Platz in Gaza-Stadt aufgebaut und die Kerzen entzündet. Genau auf diesem Platz sollen während der Waffenruhe israelische Geiseln von der Hamas bei der Übergabe an das Rote Kreuz vor einer johlenden Menge zur Schau gestellt worden sein. Für die Hamas ein Bild des Sieges über Israel.
"Hier an diesem bösen Ort, wo Terroristen Raketen abgefeuert und unsere Geiseln erniedrigt haben, stehen wir mit erhobenen Köpfen und zünden die erste Chanukkakerze an. Hoch lebe unsere Nation Israel!", sagte Kommandant Benny Aharon. Später stellte sich heraus, dass es der falsche Platz war. Die Armee räumte den Fehler ein.
Auch bei Bildern, die Terroristen knieend in Unterwäsche zeigen sollen, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, ob es wirklich ausschließlich Terroristen sind. Die Quellenlage bleibt unklar. Israel setzt in diesen Tagen auf eigene Bilder der Überlegenheit und des Sieges über das Terrorregime in Gaza.
Hamas zielt auch auf den Willen Israels
Dies sei die Antwort auf die Flut Tausender Bilder und Videos der Gräueltaten der Hamas, sagt Ron Schleifer, Experte für psychologische Kriegsführung an der Ariel Universität. Er vergleicht die Methoden der Hamas am 7. Oktober mit denen des mongolischen Anführers Dschingis Khan.
Er hat vor einer Stadt, die er einnehmen wollte, absichtlich ein Massaker unter der Bevölkerung angerichtet und einen Hügel mit abgeschlagenen Köpfen aufgetürmt. Dann ließ er einige Bewohner laufen, die in der nächsten Stadt von den Gräueln erzählten. Als er dorthin kam, hatten die Erzählungen ihre Wirkung erzielt und die Stadt öffnete ihre Tore.
"Die Hamas setzt darauf, den Willen des Feindes - also Israels - mit Hilfe von Angst und Schrecken zu brechen", so Schleifer.
Psychologin vermutet ein kollektives Trauma
Livestreams und Bilder in den sozialen Medien seien Mittel der psychologischen Kriegsführung gegen die Bevölkerung, sagt Cathy Lawy. Die Psychologin leitet die Nichtregierungsorganisation Emotionaid und hilft Menschen in Israel, mit Kriegstraumata umzugehen.
"Das Ziel war, dass wir uns alle unsicher fühlen, dass wir denken, sie können uns erreichen nicht nur in unserem Land, sondern auch zu Hause, sogar in unseren Bunkern. Die Bilder von Gräueltaten an Kindern und Frauen, Vergewaltigungen, haben eine Wirkung auf alle Frauen, auf die gesamte Bevölkerung. Wir sehen Anzeichen eines kollektiven Traumas in Israel", sagt Lawy.
Sie beschreibt das Gefühl, mit dem viele Patienten zu ihr kommen, als ein tiefes Gefühl der Verunsicherung, als ob jemand nicht in der eigenen Haut steckt. Die meisten haben das Massaker nicht selbst erlebt, sondern in den sozialen Medien verfolgt. Bilder wie die von jungen Festivalgästen, die gefangen, erniedrigt und erschossen wurden.
Bilder, die den Überlebensinstinkt ansprechen
Ein junger Mann, den Lawy betreut, habe solche Aufnahmen für seine Arbeit immer wieder ansehen müssen. Er sei arbeitsunfähig, könne nicht schlafen und habe Depressionen - dies seien Symptome eines Sekundärtraumas.
"Wir reden über Bilder, die schnell in unserer Erinnerung gespeichert werden, weil sie unseren Überlebensinstinkt ansprechen. Diese Erinnerungen können getriggert werden und Traumata auslösen. So können Menschen, die nicht Opfer der Angriffe sind, posttraumatische Symptome haben, wie Flashbacks der Szenen, die sie gesehen haben, auch wenn sie nicht dabei waren", betont Lawy.
Internationale Unterstützung soll untergraben werden
Die psychologische Kriegsführung gehe aber noch weiter, sagt der Experte Schleifer. Wenn versucht wird, mit Bildern die Wahrnehmung zu manipulieren, wenn sogar Sympathie erzeugt werden soll. Schleifer nennt in diesem Zusammenhang Bilder, auf denen Geiseln ihren Entführer zum Abschied winken und Hände schütteln. In einem Hamas-Video sei zu hören, wie ein Terrorist die Geiseln auffordert, weiter zu winken.
Nicht anders verhält es sich, wenn aus dem Gazastreifen Bilder der totalen Zerstörung gepostet werden. Die Hamas bezweckt damit, dass die Unterstützung Israels in der Welt schwindet. Auch so kann ein Gefühl der Schuld vermittelt werden, sagt Schleifer. "Schuld ist ein sehr effektives Mittel der Überzeugung. Wenn die eigenen Waffen nicht ausreichen, um den Feind zu besiegen, müssen sie den Feind überzeugen, nicht den Abzug zu drücken."
In der Bildersprache des Krieges wäre eine anhaltende Waffenruhe ein Sieg der Hamas, sagt Schleifer. Für Israel wäre es der Bruch des Versprechens an die Bevölkerung, die Hamas zu zerstören und die Sicherheit wiederherzustellen. Und so geht er weiter der Krieg der Bilder und der Krieg in Gaza.