Katar Als Deutschland noch kein Gas wollte
Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich Katar von einem armen Emirat zu einer Rohstoffmacht mit internationalen Ambitionen gewandelt. Dabei war anfangs nicht jeder an Katars Gas interessiert.
Schon die Auffahrt zum Familienanwesen ist imposant: ein Hausangestellter im Golfwägelchen weist den Weg zum Parkplatz. Springbrunnen, parkähnlicher Garten, mehrere aneinandergereihte Gebäude. Dann empfängt "His Excellency", der ehemalige katarische Energieminister Abdullah al-Attiyah, zum Interview. In seinem "Madschlis", wo Gäste abseits der privaten Wohnräume empfangen werden. Alle Katarer haben solch einen Raum, in dem sich Männer an bestimmten Wochentagen treffen. Der "Madschlis" ist eine Institution in Katar. Eine Art Stammtisch, zum Plaudern, Essen, Geschäfte machen. Wohlgemerkt: Die Herren bleiben da üblicherweise unter sich.
Beim Ex-OPEC-Präsidenten al-Attiyah ist er riesig: geschätzt 150 Quadratmeter, von der Decke hängen üppige Kronleuchter aus Kristall, an den langen Wänden sind vergoldete Polsterstühle aufgereiht.
Mühsame Markterschließung
Von 1992 bis 2011 war der heute 70-jährige al-Attiyah Katars mächtiger Minister für Energie und Industrie, und er gilt immer noch als graue Eminenz. Sehr redefreudig über seine aktive Zeit als Verhandler in Sachen Gas. Mit Deutschland klappte es damals aber nicht.
"1997 war ich in Berlin", erzählt er, "und wollte die Deutschen überreden, unser Flüssiggas zu kaufen. Sie haben abgelehnt und sagten mir: 'Russisches Gas ist viel billiger.' Ich habe sie gewarnt: 'Der Preis ist nicht alles. Ihr dürft Euch nicht von einer einzigen Quelle abhängig machen, nicht mal von Katar.'"
Heute kaum vorstellbar, dass Katar sein Gas zunächst anbieten musste wie Sauerbier.
Hunger - nur wenige Jahrzehnte her
Doch al-Attiyah erinnert sich noch an ganz andere Zeiten. Seine Vorfahren hätten Hungersnöte durchlitten. Denn bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts war Perlfischerei fast die einzige Einkommensquelle:
Wenn wir mit einer Zeitmaschine in die 1950er-Jahre zurückspringen: Damals war Katar bettelarm. Es gab keine Straßen, keine Schulen, keine Krankenhäuser, keine Elektrizität. Als wir arm waren, hat uns niemand geholfen, auch nicht die arabischen Nachbarn. Keiner kannte uns. Erst als wir Öl entdeckt haben, kannten uns plötzlich alle.
Öl und vor allem Gas: Im Persischen Golf zwischen Katar und Iran liegt das größte bekannte Erdgasfeld der Welt. Katar steht im internationalen Ranking der Gasreserven an dritter Stelle.
Ex-Energieminister al-Attiyah verweist auf die Entwicklung, die Katar in wenigen Jahren vollzogen hat - und hofft, dass die Kritik des Auslands im Laufe der WM nachlässt.
Abnehmer in Asien
Doch den flüchtigen Rohstoff zu Geld zu machen, war nach der Entdeckung zunächst ein Problem. Denn für den Export wird das Gas verflüssigt zu LNG (Liquid Natural Gas). Flüssiggasanlagen aber sind extrem teure Investitionen.
Die finanziellen Mittel dafür musste al-Attiyah in den 1990er-Jahren bei potenziellen Kunden beschaffen: "Im Gasgeschäft brauchst du zuerst einen Abnehmer, einen langfristigen Vertrag. Dann erst kannst du die Anlagen bauen. Ohne Kunden keine Verflüssigungsanlagen. Also haben wir geschaut, wer der größte Gaskonsument in Asien ist: Das ist Japan, darauf haben wir uns konzentriert."
Mit Japan schloss Katar die ersten langfristigen Verträge ab, dann kamen auch andere Kunden hinzu, viele aus Asien.
Ein geschlossenes familiäres System
Heute ist Katar reich, die al-Attiayhs auch. Mit dem Gas kam der Einfluss, der Minister des kleinen Emirats traf die Mächtigen der Welt. In seinem Büro: Erinnerungsstücke und Trophäen, japanische Vasen, ein Modellhelikopter und Fotos mit Hugo Chavez, Barack Obama und Fidel Castro.
In der Ecke ein vergilbtes Schwarzweiß-Bild, das al-Attiyahs verstorbenen Vater auf dem Flughafen von Paris zeigt, zusammen mit dem Großvater des heutigen Emirs, Khalifa bin Hamad al-Thani.
An diesem Foto erklärt al-Attiyah das Prinzip der katarischen Stammesgesellschaft: verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Großfamilien. An der Spitze steht die Herrscherdynastie der al-Thanis, die seit 200 Jahren den Emir des Landes stellt. Nähe zu den al-Thanis ist von Vorteil.
"Meine Großmutter kam aus der al-Thani-Familie", sagt al-Attiyah, "die Familien heiraten untereinander. Das bringt dem Land Sicherheit - die Ehen unter den Stämmen. Dieser ist der Onkel von Jenem, der andere sein Stiefvater und so weiter."
Ein geschlossenes System also, stabil durch die engen familiären Verflechtungen. Ausländer können die katarische Staatsbürgerschaft nur unter Erfüllung strenger Voraussetzungen und nach 25-jährigem Aufenthalt im Land erwerben.
Wohlstand und Wahrnehmung
Dann fährt einer der vier Söhne vor, im gelben Lamborghini. Bald ist der Patriarch umringt von seinen Enkelkindern. Die Mädchen in rosa Luxus-Kleidchen, einer der kleinen Jungen trägt einen Falken auf der Hand. Sie gehen auf britische Privatschulen, studieren später vermutlich an einer der amerikanischen Eliteunis, die sich Katar ins Land geholt hat.
Die Gas-Milliarden wurden auch in modernste Infrastruktur investiert, in Bildung und das Gesundheitswesen.
Dass der enorme Wohlstand eben auch auf dem Rücken von Billiglohnkräften erarbeitet wurde, teilweise unter übelsten Bedingungen, erwähnt al-Attiyah nicht. Er ist vor allem stolz darauf, dass das kleine Emirat so viel erreicht habe: "Wenn ein Land Hunderte Millionen Einwohner hat, ist es so langsam wie ein Elefant. Wir sind zwar klein, aber wir sind schneller als ein Reh. Und jetzt haben wir einen der größten Häfen im Nahen Osten, wir haben den tollsten Flughafen der Welt, die beste Airline. Wir sind zwar klein, aber die Besten."
Eine Sicht auf Katar, die sich mit der internationalen Wahrnehmung momentan so gar nicht deckt. Al-Attiyah weiß das wohl, hofft aber, dass sich die Stimmung bessert, wenn der Weltmeisterschafts-Ball erst einmal rollt. Bei früheren Weltmeisterschaften verstummte die Kritik meist mit dem Anpfiff. Diesmal ist das eher unwahrscheinlich
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