Japans Parteienlandschaft Erneuerung aus Osaka?
Seit Jahrzehnten regieren in Japan die konservativen Liberaldemokraten mit einem kleinen Koalitionspartner. Doch eine Partei, die auf lokaler Ebene groß wurde, will dieses Monopol durchbrechen. Wofür steht sie?
Alles konzentriert sich in Japan auf die Hauptstadt Tokio. Hier wird alles entschieden, hier ist das Zentrum der Macht. In dieses Zentrum drängt die "Nippon Ishin no kai", auf Deutsch etwa "Partei der Erneuerung". 2010 in Osaka von dem Populisten Toru Hashimoto gegründet, hat sie bei den Lokalwahlen im Frühjahr dieses Jahres auch zahlreiche Stimmen in anderen Landesteilen für sich verbuchen können.
Besuch in der Parteizentrale in Osaka. Mitarbeiter führen in einen schmucklosen Raum mit Neonlicht. Der 72-jährige Hitoshi Asada, ein Urgestein der Partei, verweist auf den größten Erfolg der Partei: "Wir haben es geschafft, die Bildung für Kinder ab einem Alter von drei Jahren bis zum Ende der Oberschule gebührenfrei zu machen." Kinder der Mittelschule erhielten in Osaka außerdem täglich ein kostenloses Mittagessen, erklärt er den Stimmenzuwachs.
Finanziert hat die Partei das unter anderem durch eine radikale Maßnahme: "Wir haben die Verwaltung reformiert. Unsere Abgeordneten haben bis dahin bei Renteneintritt 40 Millionen Yen (umgerechnet circa. 255.000 Euro) erhalten. Das haben wir abgeschafft."
Kürzungen auf vielen Ebenen
Zudem hat die Partei die Zahl der Abgeordneten reduziert, sowie die Abgeordnetendiäten und die Beamtengehälter um bis zu 30 Prozent gekürzt.
Politiker, die außerhalb Osakas nach wie vor die höheren Zuwendungen erhalten, würden diesen Prozentsatz spenden. "Davon haben wir zum Beispiel einen Lkw mit Hilfsgütern in die Ukraine geschickt", sagt Asada. Recherchen der ARD bestätigen das. Was Asada unerwähnt lässt: Die "Ishin" hat andererseits Mittel in Krankenhäusern und beim medizinischen Personal gekürzt.
Nicht jede Forderung ist konkret
Sich selbst ordnet die Partei als progressiv-konservativ ein. Und tatsächlich wirbt sie für die Homoehe sowie für die Möglichkeit, den eigenen Nachnamen bei einer Heirat beizubehalten; Themen, mit denen sich die regierenden Liberaldemokraten (LDP) schwertun.
Auf diese Parteiforderungen angesprochen wird der sonst so gesprächige Asada jedoch eher schmallippig. Und auch bei einer weiteren Forderung der "Ishin", der Einführung eines Grundeinkommens von 60.000 Yen (umgerechet rund 380 Euro) zeigt sich auf Nachfrage, dass der Vorschlag noch unausgegoren ist.
Nicht jeder solle es erhalten und auch über die Höhe gebe es noch keinen Beschluss. Stattdessen überrascht Asada mit dem Vorschlag, jeder solle so lange weiterarbeiten, wie er wolle und sogar noch im hohen Alter ein Studium finanziert bekommen.
Frauenförderung ist ausbaufähig
Ebenso vage bleibt die Partei in der Migrationsfrage. Japan hat einen eklatanten Fachkräftemangel und eine stark alternde Bevölkerung. "Natürlich braucht Japan Fachkräfte", sagt Asada, aber wie die angeworben werden sollen, dazu fällt ihm nichts ein. Stattdessen zählt er Versäumnisse der LDP auf.
Die Partei will zudem Frauen fördern, bisher liegt ihr Anteil in der Partei nach eigenen Angaben bei knapp 20 Prozent, in der Parlamentsfraktion sind es knapp 15 Prozent - und damit noch unter dem Gesamtanteil von Frauen im Parlament, der bei 26 Prozent liegt.
"Ishin"-Lokalpolitiker Yusuke Sugie findet dennoch, dass schon viel erreicht wurde. "In Osaka ist es uns gelungen, dass politisch aktive Mütter online an Sitzungen teilnehmen können. Das hat bisher noch keine andere Stadt in Japan geschafft."
Beim Ausbau der Verteidigung, dem Erhalt des Kaiserhauses und der Kernenergie ist die "Ishin" hingegen auf Linie der LDP. Und sie hat ein klares Ziel vor Augen, das der aktuelle Parteivorsitzende gerade noch einmal bestätigt hat: Die Ishin will die stärkste Oppositionspartei werden. "Und dann wollen wir an die Macht in Tokio kommen", sagt der Oberhausabgeordnete Asada.
Partei profitiert von Schwächen anderer
Dass dies der Erneuerungspartei wirklich gelingt, glaubt Politikwissenschaftlerin Haruko Satoh von der Universität Osaka nicht. Sie profitiere vor allem von der Schwäche des kleinen Koalitionspartners der LDP, der buddhistischen Komeito: "40 Prozent der japanischen Bevölkerung unterstützen momentan keine Partei. Diese Zahl ist größer als die der Menschen, die eine einzelne Partei unterstützen."
Das Besondere an "Ishin" sei, dass sie von der lokalen Ebene aus groß geworden und gewachsen sei. Und tiefgreifende Veränderungen seien in Japan in der Vergangenheit immer von den Provinzen ausgegangen.
Für Masahiro Zenkyo, Politikwissenschaftler an der Kansei-Gakuin-Universität in Osaka, ist der Erfolg der "Ishin" in erster Linie auf die Schwäche der größten Oppositionspartei, den konstitutionellen Demokraten, zurückzuführen. Die Wähler seien enttäuscht von ihr und hätten sich aus Protest der Erneuerungspartei zugewandt.
Das sei typisch für Japan. Allerdings: Um die Konstitutionell-Demokratische Partei einzuholen, müsste "Ishin" bei der nächsten Wahl mehr als doppelt so viele Parlamentssitze wie bei der Parlamentswahl 2021 holen.
Noch schwer einzuordnen
Auch für Zenkyo ist die "Ishin"-Partei nur schwer einem Spektrum zuzuordnen: "In Sicherheits- und Verteidigungsfragen ist sie in jedem Fall eher konservativ, sogar eher rechtsorientiert, bei anderen Themen wie der der Homoehe und der Frauenförderung eher linksorientiert", sagt er.
Wenn die Partei auf Landesebene Erfolg haben will, muss sie aus Sicht des Politikwissenschaftlers intern noch die entsprechenden Strukturen schaffen und vor allem Mistreiter gewinnen, die politische Erfahrung mitbringen.
Der Erfolg von "Ishin" in Osaka zeige, was eine Lokalpartei erreichen könne, sagt Zenkyo. Und das könnte auch Menschen in anderen Städten ermutigen, es der Partei gleichzutun und ihre Ideen aufzugreifen, im Wissen: "Ah, das hat dort geklappt, vielleicht gelingt das auch bei uns."