Neue Eskalation Nordkorea feuert ballistische Rakete über Japan
Erstmals seit fünf Jahren hat das nordkoreanische Militär eine ballistische Rakete über Japan fliegen lassen. Dort löste der Abschuss einen öffentlichen Raketenalarm aus. Experten sprechen von einer Eskalation der jüngsten Provokationen Pjöngjangs.
Japan hat nach dem Abschuss einer ballistischen Rakete aus Nordkorea die Bewohner im Nordosten des Landes kurzzeitig in Alarmbereitschaft versetzt. "Nordkorea scheint eine Rakete abgeschossen zu haben. Bitte evakuieren Sie sich in Gebäude oder Kellerräume", teilte die Regierung mit. Japans Ministerpräsident Fumio Kishida bezeichnete den Vorfall als "Gewaltakt".
Nordkorea habe gegen 07.22 Uhr (00.22 Uhr MESZ) "eine ballistische Rakete in Richtung Osten" abgefeuert, sagte Japans Regierungssprecher Hirokazu Matsuno. Die Rakete erreichte ersten Schätzungen zufolge eine Distanz von 4500 Kilometern und eine maximale Flughöhe von rund 970 Kilometern. Laut Angaben von Japans Verteidigungsminister Yasukazu Hamada handelt es sich um die weiteste horizontale Entfernung einer Rakete Nordkoreas. Details würden noch untersucht. Bei dem Abschuss sei jedoch niemand verletzt worden.
Zuvor war das japanische J-Alert-Raketenwarnsystem aktiviert worden - ein bislang eher seltener Vorgang. Der staatliche japanische Rundfunksender NHK meldete, die Warnung gelte für zwei nördliche Regionen des Landes. Die Küstenwache erklärte später, die Rakete sei offenbar bereits über dem Pazifik abgestürzt. Sie warnte Schiffe davor, sich herabfallenden Objekten zu nähern.
Das südkoreanische Militär bestätigte den Vorfall. Es teilte mit, "eine mutmaßliche ballistische Mittelstreckenrakete" entdeckt zu haben, die "aus dem Gebiet Mupyong-Ri in der Provinz Jagang gestartet wurde und in östlicher Richtung über Japan hinwegflog". Der südkoreanische Generalstab erklärte, das Militär erhalte "die volle Bereitschaft aufrecht, eng mit den USA zusammenzuarbeiten und die Überwachung und Wachsamkeit zu erhöhen".
US-Regierung berät über "handfeste Antwort"
Südkoreas Präsident Yun Suk-Yol sagte, eine solche "rücksichtslose nukleare Provokation wird von unserem Militär sowie von unseren Verbündeten und der internationalen Gemeinschaft mit Entschlossenheit beantwortet werden".
Auch US-Außenminister Antony Blinken verurteilte den Abschuss "auf das Schärfste", wie ein Ministeriumssprecher sagte. Das Engagement der USA zur Verteidigung Südkoreas und Japans bleibe "eisern". Die USA bekräftigten die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit mit Japan und Südkorea, um Nordkorea "für sein inakzeptables Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen".
Einer Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses zufolge setzte sich der Nationale Sicherheitsberater, Jake Sullivan, bereits telefonisch mit Südkorea und Japan in Verbindung, um über "angemessene und handfeste, gemeinsame und internationale Antworten" auf den jüngsten Raketenabschuss zu beraten. Auch Sullivan habe auf die "eisernen Versprechen" der USA zur Verteidigung Südkoreas und Japans gepocht.
EU-Ratspräsident Charles Michel bezeichnete Nordkoreas Raketentest per Tweet als eine "ungerechtfertigte Aggression und eine unverhohlene Verletzung internationalen Rechts". Michel betonte, die EU stehe solidarisch an der Seite Südkoreas und Japans.
Gemeinsames Militärmanöver von USA und Südkorea
Die USA und Südkorea reagierten aber nicht nur mit verbaler Kritik auf den Raketenabschuss, sondern auch mit einer gemeinsamen Militärübung über dem Gelben Meer, einem sogenannten Randmeer des Pazifiks, das von China und der koreanischen Halbinsel umrandet wird.
Wie der südkoreanische Generalstab mitteilte, waren an der Übung vier F-15K Kampfjets der landeseigenen Luftwaffe und vier F-16 Kampfjets der US-Luftwaffe beteiligt. Die südkoreanischen Jets feuerten dabei zwei Präzisionsbomben über der unbewohnten Insel Jikdo ab.
In Südkorea sind etwa 28.500 US-Soldaten stationiert. Bereits in der vergangenen Woche hielten die südkoreanische und die US-Marine eine großangelegte gemeinsame Militärübung ab. Am Freitag starteten Südkorea, Japan und die USA zudem erstmals seit fünf Jahren Übungen zur U-Boot-Abwehr.
Nordkoreanischer Atomwaffentest befürchtet
Südkorea und die USA befürchten, dass Pjöngjang in naher Zukunft erstmals seit 2017 wieder einen Atomwaffentest vornehmen könnte. Südkoreanischen und US-Beamten zufolge könne dies kurz nach dem bevorstehenden Parteikongress Chinas am 16. Oktober geschehen.
Das weitgehend isolierte asiatische Land hat seit 2006 sechs Mal Atomwaffen getestet, zuletzt 2017. In der Folge dieses Atomwaffentests hatte sich der UN-Sicherheitsrat das bislang letzte Mal auf Sanktionen gegen Pjöngjang einigen können. Nordkorea verfügt nach Diplomatenangaben über Atombomben und ballistische Raketen, hat es demnach aber bislang nicht geschafft, diese beiden Technologien zusammenzuführen.
Experten sehen neue Eskalation
"Sollte Pjöngjang eine Rakete über Japan abgefeuert haben, wäre das eine erhebliche Eskalation der jüngsten Provokationen", sagte Leif-Eric Easley von der Ewha-Universität in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Dem Politikwissenschaftler zufolge arbeitet die Regierung in Nordkorea an der Entwicklung von Waffen wie "taktischen Nuklearsprengköpfen und U-Boot-gestützten ballistischen Raketen" als "Teil einer langfristigen Strategie, um Südkorea in einem Wettrüsten auszustechen und Keile zwischen die US-Verbündeten zu treiben".
Vor wenigen Tagen hatte Nordkorea bereits viermal ballistische Raketen abgefeuert.