Israel Ultraorthodoxe melden sich zur Armee
Nach dem Angriff der Hamas ist in Israel vieles nicht mehr so, wie es mal war. 2.000 Ultraorthodoxe haben sich laut Armee freiwillig zum Wehrdienst gemeldet - obwohl sie davon eigentlich ausgenommen sind.
Itzik geht zum ersten Mal in die Yakoov-Dori-Kaserne in der Nähe von Tel Aviv. Er trägt ein weißes Hemd und auf dem Kopf eine schwarze Kippa. "Ich wollte eigentlich immer Teil sein, aber konnte das nicht wegen meiner Lebensweise", sagt er. "Ich arbeite momentan als Sozialarbeiter. Und jetzt, in dieser Situation, hatte ich das Gefühl, dass ich mehr tun muss."
Itzik hat sich freiwillig zum Wehrdienst gemeldet. Das ist ungewöhnlich, denn er ist orthodoxer Jude. Viele von ihnen konzentrieren sich auf ihr religiöses Studium und müssen auch nicht zur Armee. In der israelischen Gesellschaft macht sie das ein Stück weit zu Außenseitern.
Doch seit dem Überfall der Hamas auf Israel ist alles anders. Mehr und mehr Ultraorthodoxe melden sich freiwillig bei der Armee, wie deren Sprecher Daniel Hagari sagt: "Bisher sind über 2.000 Anträge eingegangen von der ultraorthodoxen Bevölkerung. Für sie entwickeln wir Programme und werden mit der Einberufung der Freiwilligen beginnen. Sie werden aufgenommen und Teil unserer Kriegsanstrengungen."
Organisation von Essen, Schutzwesten oder Transporten
Die Armee hat schnell reagiert. Seit Anfang der Woche laufen die ersten Ausbildungen für etwa 120 Rekruten. Beim Militär ist die Rede von einer historischen Gelegenheit, die Ultraorthodoxen besser zu integrieren. Zunächst sollen die neuen Rekruten die Sanitätseinheiten unterstützen oder Logistik und Verwaltung. Für Kampfeinsätze wäre eine längere Ausbildung nötig.
Nechumi Yaffe ist die erste und einzige ultraorthodoxe Professorin. Die Politikwissenschaftlerin beobachtet, dass in der Gemeinschaft etwas in Bewegung gekommen ist. "Wir erleben den wahrscheinlich schrecklichsten Moment seit der Gründung des Landes", sagt sie im Interview mit dem ARD-Studio Tel Aviv. "Die Ultraorthodoxen wollen jetzt einfach Verbündete sein, helfen und ihren Anteil leisten."
Yaffe sitzt in einem Büro in Jerusalem. Um sie herum wuseln Dutzende junge Ultraorthodoxe. Mit Laptops auf ihren Knien organisieren sie Essen, Schutzwesten oder Transporte für Soldaten an der Front. Die Armee hat in Rekordzeit Hunderttausende Menschen mobilisiert, so dass die Logistik kaum mithalten kann. Die ultraorthodoxen Freiwilligen füllen diese Lücke - zusammen mit anderen Initiativen.
"Viele Menschen kommen sich gerade näher"
Vor wenigen Wochen schien die israelische Gesellschaft gespalten wie selten zuvor. Im Streit über die Justizreform standen sich strengreligiöse und weltliche Juden unversöhnlich gegenüber. Das scheint fast vergessen. "Viele Menschen kommen sich gerade näher", sagt Yaffe. "Sie sagen: Wir sind zu weit gegangen mit unserer eigenen Sicht auf die Realität. Wir haben uns nicht genug um unsere Mitbrüder gekümmert und haben den Konflikt eskalieren lassen."
Ob die gesellschaftliche Spaltung langfristig überwunden ist - da ist die Professorin noch etwas skeptisch. Aber sie hoffe es. Sie schätzt, dass etwa 30 Prozent der Ultraorthodoxen bereit sind für den Wehrdienst. Weitere 20 Prozent könnten sich vorstellen, andere Aufgaben zu übernehmen.
Doch es gibt auch kritischen Stimmen. Das weiß auch der neue Rekrut Itzik. "Zuerst dachte ich, dass es leicht wird", sagt er. "Aber jetzt merke ich schon, dass die Realität etwas anders aussieht. Ich habe sechs Kinder. Einerseits freut sich meine Familie für mich und ermutigt mich. Andererseits ist es für sie nicht einfach. In unserer Gemeinschaft wird das nicht so einfach akzeptiert. Ich hoffe, dass alles reibungslos läuft.“
Immerhin: Itzik ist nicht allein. Der Ansturm der Ultraorthodoxen bei der Armee reißt nicht ab.