Verabschiedung von umstrittenen Gesetz Neue Massenproteste in Israel
Trotz wochenlanger Proteste hat das israelische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das den Regierungschef vor einer Amtsenthebung schützt. Am Abend gingen erneut Tausende auf die Straße. Premier Netanyahu versucht zu beschwichtigen.
Die israelische Regierung schreitet mit ihrem Plan voran, die Justiz weiter zu schwächen. Das Parlament in Jerusalem verabschiedete ein Gesetz, das es künftig deutlich schwerer macht, einen Ministerpräsidenten für amtsunfähig zu erklären. Dies ist die erste Gesetzesänderung im Rahmen einer höchst umstrittenen Justizreform der neuen rechts-religiösen Regierung um Ministerpräsident Benjamin Netanyahu.
Am Abend gingen in ganz Israel wieder Tausende auf die Straße, um gegen die Gesetzesänderung zu demonstrieren. Dabei kam es vereinzelt zu Konfrontationen mit der Polizei. Unter anderem in den Küstenstädten Tel Aviv und Haifa setzten die Einsatzkräfte Wasserwerfer ein, um gegen Demonstrierende vorzugehen. Landesweit wurden Dutzende Menschen laut Medienberichten festgenommen.
Netanyahu verschiebt Reise nach London
Eine große Menge zog vor Netanyahus Residenz in Jerusalem. Der Regierungschef verschob eine offizielle Reise nach Großbritannien auf den frühen Freitagmorgen und versprach in einer Fernsehansprache, die "Kluft zu heilen", die durch das Land gehe.
"Wir werden die Grundrechte aller israelischen Bürger gewährleisten - Juden und Nicht-Juden, säkular und religiös, Frauen, die LGBTQ-Gemeinschaft, aller ohne Ausnahme", sagte Netanyahu. "Ich werde alles tun, die Wogen zu glätten und die Kluft in der Nation zu heilen, weil wir Familie sind." Gleichwohl machte er deutlich, dass er das Gesetzesvorhaben weiter vorantreiben will.
Die Protestbewegung wies Netanyahus Äußerungen umgehend zurück. "Wir haben heute Abend einen Diktator-im-Werden gesehen, der, anstatt den legalen Coup zu stoppen, die feindliche Übernahme des Obersten Gerichts fortsetzt", hieß es in einer Erklärung.
Lapid: Kein Interesse an einem Dialog
Oppositionsführer Jair Lapid sagte, Netanyahu habe deutlich gemacht, dass er nicht die Absicht habe, "einen wirklichen Dialog zu führen". Der Oppositionspolitiker Avigdor Lieberman kündigte an, vor dem Höchsten Gericht dagegen vorzugehen. Die frühere Außenministerin Zipi Livni sagte: "Entweder wird Israel ein jüdischer, demokratischer und fortschrittlicher Staat sein oder ein religiöser, totalitärer, scheiternder, isolierter und abgeschotteter Staat."
Das verabschiedete Gesetz legt fest, dass ein israelischer Ministerpräsident nur aus gesundheitlichen oder mentalen Gründen als regierungsunfähig eingestuft werden kann. Gleichzeitig kann nur der Amtsinhaber oder seine Regierung diese Entscheidung treffen. Ein Korruptionsverdacht oder ein Interessenkonflikt reichen als Gründe für einen solchen Schritt nicht aus. Kritiker sagen, das Gesetz sei auf Netanyahu zugeschnitten, fördere die Korruption und vertiefe die Kluft zwischen den Israelis im Streit um die Justizreform.
Kluft zwischen säkularen und religiösen Israelis
Zuvor waren Forderungen an den Generalstaatsanwalt des Landes lauter geworden, den Ministerpräsidenten wegen seiner rechtlichen Probleme für regierungsunfähig zu erklären. Der Generalstaatsanwalt hat Netanyahu bereits von der Mitwirkung an der Justizreform ausgeschlossen, weil er aufgrund seines Korruptionsverfahrens in einen Interessenkonflikt geraten könnte.
Netanyahu steht wegen Betrugs, Untreue und Annahme von Bestechungsgeldern in einer Reihe von Skandalen vor Gericht, in die reiche Partner und mächtige Medienmogule verwickelt sind. Er bestreitet ein Fehlverhalten und weist Vorwürfe zurück, er wolle durch die von seiner Regierung vorangetriebene Rechtsreform einen Prozess umgehen.
Die Krise hat die seit langem bestehende Kluft zwischen säkularen und religiösen Israelis in der Frage verschärft, welche Rolle die Religion in ihrem Alltag spielen soll. Die Regierung lehnte Anfang des Monats einen Kompromissvorschlag zur Entschärfung der Krise ab. Sie kündigte an, sie werde die meisten Abstimmungen auf die Zeit nach der einmonatigen Parlamentspause im April verschieben. Den Kern der Reform treibt die Regierung jedoch voran: die eigene Kontrolle über die Ernennung von Richtern.