Der Internationale Gerichtshof in Den Haag.
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Den Haag Was aus dem Gutachten des IGH folgt

Stand: 19.07.2024 20:43 Uhr

Der Internationale Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass Israel durch sein Vorgehen in den Palästinensergebieten internationales Recht verletzt. Worum geht es - und was folgt daraus?

Von C. Kehlbach, A. Holzer und M. Bauer, ARD-Rechtsredaktion

Worum genau geht es in dem Gutachten? 

Der Internationale Gerichtshof (IGH) im niederländischen Den Haag ist das Gericht der Vereinten Nationen. Bestimmte Einrichtungen, die in der UN-Charta genannt werden, können beim IGH die Erstellung eines rechtlichen Gutachtens beantragen.

Das aktuelle Gutachtenverfahren hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen angestoßen. Das geschah am 30. Dezember 2022 - also mehr als neun Monate vor dem terroristischen Überfall der radikal-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Das IGH-Verfahren hängt weder damit noch mit dem militärischen Einsatz der israelischen Truppen im Gaza-Streifen zusammen.

Es geht bei dem Gutachtenverfahren um Israels Besatzungspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Konkret gemeint sind mit den besetzten Gebieten der Gazastreifen, das Westjordanland und Ost-Jerusalem. Deutschland hatte - so wie 25 andere Staaten - gegen die Resolution gestimmt. Aber eine Mehrheit von 87 Staaten war dafür.

Was sagt der IGH in seinem Gutachten? 

Die Richterinnen und Richter kamen in ihrem Gutachten mehrheitlich zu dem Schluss, dass Israel mit seinem Vorgehen in den besetzten Gebieten gleich in mehreren Punkten gegen das Völkerrecht verstößt. So seien die Siedlungen, die Israel im Westjordanland und in Ost-Jerusalem errichtet hat und weiterhin errichtet, illegal. Sie seien darauf ausgerichtet, dauerhaft bestehen zu bleiben und unumkehrbare Fakten in den besetzten Gebieten zu schaffen. Das geschehe, indem Israel rund um die Siedlungen ganz bewusst dauerhafte Infrastruktur schaffe und damit Anreize für Siedler, sich dort niederzulassen.

Durch diese Anreize sei Israel die Ansiedlung zuzurechnen, auch wenn die Siedlungen nicht durch die Regierung selbst errichtet würden. Das Vorgehen komme einer Annexion gleich, also einer gewaltsamen Landnahme. Die verstoße gegen das völkerrechtliche Verbot zwangsweiser Gebietsaneignung.

Auswirkungen der Siedlungspolitik verletzten das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung. Auch israelische Sicherheitsinteressen könnten die Aneignungen von Land nicht rechtfertigen. Israel sei verpflichtet, die unrechtmäßige Präsenz in den besetzten Gebieten schnellstmöglich zu beenden. Alle Aktivitäten, die darauf ausgerichtet sind, weitere Siedlungen zu schaffen, seien schnellstmöglich einzustellen. Die Schäden, die Israels Politik bei den Menschen und Firmen in den besetzten Gebieten verursacht habe, seien zu kompensieren.

Der IGH spricht in seinem Gutachten auch die anderen Staaten an. Sie seien verpflichtet, diese unrechtmäßige Situation nicht als rechtmäßig anzuerkennen. Der IGH zeigte sich ausdrücklich “ernsthaft besorgt” darüber, dass die Siedlungsaktivitäten gerade in jüngerer Vergangenheit deutlich zunehmen würden.

Laut Kai Ambos, Professor für Völkerrecht an der Universität Göttingen sei besonders hervorzuheben, dass andere Staaten verpflichtet seien, den rechtswidrigen Zustand nicht anzuerkennen. "Das gilt ausdrücklich auch für internationale Organisation, also nicht nur die Vereinten Nationen, sondern auch für die Europäische Union."  

Sogar zum Vorwurf der Apartheid nahm das Gutachten Stellung. Der werde in der Sache anerkannt, sagt Ambos, "weil eine Verletzung von Artikel 3 des Antidiskriminierungsabkommens von 1965 angenommen wird, dort ist Segregation und Apartheid verboten."  

Was folgt aus dem Gutachten? 

Unmittelbare Konsequenzen folgen für Israel aus der Entscheidung nicht. Das Gutachten ist nicht verbindlich. Schon im Vorfeld kritisierte Israel den Antrag zur Erstellung des Gutachtens als “Missbrauch des Völkerrechts”.

Dennoch sind die Rechtsgutachten des Den Haager Gerichtshofs allgemein erkannt und werden von einer breiten internationalen Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen. Sie können auf einen Staat daher einen großen politischen Druck erzeugen. Allerdings hat Israel auch schon in der Vergangenheit ein vergleichbares Gutachten mehr oder weniger ignoriert: Bereits im Jahr 2004 hatte der Internationale Gerichtshof ein Gutachten zum Nahost-Konflikt vorgelegt. Das befasste sich mit der Sperranlage zwischen Israel und dem Westjordanland.

Der IGH stellte damals fest, dass der Bau der Sperranlage völkerrechtswidrig ist, da sie nicht mit der Grenzlinie übereinstimmt und teilweise auf palästinensischem Gebiet verläuft. Wesentlichen Einfluss auf die israelische Politik hatte das Gutachten nicht. Einfluss könnte das jetzige Gutachten aber auf andere Staaten haben, gerade weil der IGH solche Folgen auch ausdrücklich anspricht. Der Gerichtshof sagt, dass andere Staaten Israel nicht dabei unterstützen dürfen, die Besatzung fortzuführen.    

Welche Vorgeschichte hat die Besatzung der Palästinenser-Gebiete? 

Der Staat Israel wurde 1948 gegründet, anerkannt von einer Mehrheit in der Generalversammlung der Vereinten Nationen, aber nicht von den arabischen Nachbarstaaten. Als David Ben-Gurion, Israels erster Premierminister, am Tag nach der Staatsgründung eine Radioansprache hält, fallen bereits Bomben auf Tel Aviv. Ägypten, Syrien, Jordanien und Irak greifen den jungen Staat an. Doch Israel kann die Angriffe abwehren und seine Unabhängigkeit behaupten. 

1967 kommt Israel einem bevorstehenden Angriff seiner arabischen Feinde zuvor und erobert im sogenannten Sechstagekrieg das Westjordanland, den Gazastreifen, Ostjerusalem, die Golanhöhen und die Sinaihalbinsel. Vor allem die israelische Kontrolle über das Westjordanland, Ostjerusalem und den Gazastreifen sind seitdem ein Hauptstreitpunkt im Nahostkonflikt.

Direkt nach dem Ende des Sechstagekrieges 1967 entstanden erste israelische Siedlungen im Palästinensergebiet. Seitdem werden solche Siedlungen immer wieder errichtet, die Zahl steigt stetig an. Während manche Siedlungen auch ohne Genehmigung der israelischen Regierung errichtet werden, gelten andere als “National Priority Areas”. In diesen subventioniert die Regierung den privaten Landkauf, investiert in Infrastruktur und gewährt Steuervorteile.

Im Westjordanland, zu dem auch Ost-Jerusalem gerechnet wird, leben laut Statistischem Bundesamt circa 500.000 israelische Siedler neben etwa 2,7 Millionen Palästinensern.  Frühere Siedlungen im Gazastreifen hatte Israel bis 2005 wieder aufgelöst.  

 
  

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR aktuell am 19. Juli 2024 um 22:08 Uhr.