Palästinenser stehen auf den Trümmern eines eingestürzten Gebäudes in Chan Junis und suchen israelischen Angriffen nach Überlebenden und Opfern.

Krieg in Nahost Neue Angriffe im Süden und Norden des Gazastreifens

Stand: 04.11.2023 16:04 Uhr

Im Süden des Gazastreifens ist Nachrichtenagenturen zufolge ein Wohnhaus durch einen israelischen Luftangriff getroffen worden. Mehrere Menschen seien getötet worden. Zudem gibt es Berichte über den Beschuss einer Schule.

Heute Morgen in Chan Junis im Süden des Gazastreifens: Anwohner graben nach einem israelischen Luftangriff in einem Wohngebiet nach Überlebenden. Die Aufnahmen der Nachrichtenagentur Reuters zeigen, wie es den Männern gelingt, unter dem Schutt einen Frauenkörper freizulegen und die Verletzte auf einer provisorischen Bahre zu bergen.

Auf Videos der Nachrichtenagentur AP sind Rettungskräfte zu sehen, die den reglosen Körper eines Kindes aus dem Schutt des Gebäudes holen. Von israelischer Seite gibt es bisher keine Stellungnahme.

Bodentruppen rücken im Süden vor

Unterdessen haben die Bodentruppen nach Armeeangaben ihre Angriffe gegen Hamas-Terroristen auch im Süden des Gazastreifens ausgeweitet. Bei einem Einsatz von Panzer- und Pionierkräften zur Auskundschaftung von Gebäuden und Entschärfung von Sprengstoff seien diese auf eine "Terrorzelle" gestoßen, die aus einem Tunnel gekommen sei. Die Soldaten hätten auf die Kämpfer gefeuert und diese getötet, so das Militär.

Schule im Norden unter Beschuss

Dort soll eine vom UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) betriebene Schule unter Beschuss geraten sein. Die Al-Fakhoura-Schule ist Teil des Flüchtlingslagers Dschabalia, in dem Tausende von Menschen untergebracht sind. Mindestens 15 Menschen seien gestorben und Dutzende verwundet worden, sagte Mohammad Abu Selmeyah, ein Beamter des von der radikal-islamistischen Hamas geleiteten Gesundheitsministerium und Chefarzt des Schifa-Krankenhauses. Die Hamas macht Israel dafür verantwortlich, von israelischer Seite gibt es bislang keine Äußerung dazu.

Juliette Touma, Leiterin der Kommunikationsabteilung des UNRWA, bestätigte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass die Schule getroffen wurde. Sie sagte, unter den Opfern seien auch Kinder, aber das UNRWA sei noch nicht in der Lage gewesen, die genaue Zahl der Todesopfer zu ermitteln. Laut ersten Berichten sollen 20 Menschen getötet worden sein, erklärte sie. "Mindestens ein Angriff traf den Schulhof, auf dem sich Zelte für vertriebene Familien befanden. Ein weiterer Treffer erfolgte in der Schule, wo Frauen gerade Brot backten", sagte Touma per Telefon. Reuters-Bilder von den Folgen des Anschlags zeigen zerbrochene Möbel und andere Gegenstände, die auf dem Boden liegen, Blutflecken und weinende Menschen.

Israel wirft der Hamas jedoch vor, Flüchtlingslager sowie UN-Schulen und Krankenhäuser als Verstecke und Waffenlager zu missbrauchen. Die Hamas bestreitet dies. Israel hatte das Flüchtlingslager Dschabalia vor einigen Tagen angegriffen und sein Vorgehen mit einem darunterliegenden Tunnelsystem der Hamas begründet.

Israel bestätigt Angriff auf Krankenwagen

Bei ihrem Vormarsch im Norden des Gazastreifens hat Israels Armee nach eigenen Angaben einen von der islamistischen Hamas benutzten Krankenwagen angegriffen. Dabei seien mehrere Terroristen "neutralisiert" worden, teilte das Militär mit.

Das von der militant-islamistischen Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium widersprach dieser Darstellung. In dem Krankenwagen seien Verwundete transportiert worden, die in Ägypten behandelt werden sollten. Der Angriff geschah demnach vor dem Eingang des Schifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt. 13 Menschen seien dabei getötet und 26 weitere verletzt worden. Die Angaben beider Seiten lassen sich derzeit nicht unabhängig prüfen.

Konfliktparteien als Quelle
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Guterres: "Es muss aufhören"

UN-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte sich entsetzt über den Angriff. Die Bilder von auf der Straße liegenden Leichen seien "erschütternd". Er habe die von der Hamas in Israel verübten Terroranschläge "nicht vergessen", erklärte Guterres und forderte erneut die Freilassung der Geiseln.

Guterres mahnte eine Achtung des humanitären Völkerrechts an. Dazu gehöre der Schutz von Zivilisten und ziviler Infrastruktur. Zivilisten dürften nicht als menschliche Schutzschilde missbraucht werden. Er wiederholte auch seine Forderung nach einer humanitären Waffenruhe und die Lierferung von Hilfsgütern. In einer schriftlichen Erklärung hieß es: Seit fast einem Monat werde die Zivilbevölkerung im Gazastreifen, darunter Kinder und Frauen, belagert, um Hilfe gebracht, getötet und aus ihren Häusern gebombt. Dies müsse sofort aufhören.

Israel nennt erneut Zeitfenster für Flucht in den Süden

Um nicht unter Beschuss zu geraten, hatte Israels Armee die Zivilisten immer wieder dazu aufgerufen, im Süden des Gazastreifens Schutz zu suchen, während die Bodenoperationen im nördlichen Gazastreifen ausgeweitet werden. Heute nannte das Militär erneut ein Zeitfenster zur Flucht in das südliche Gebiet. Einwohner hätten von 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr Ortszeit Zeit, um eine sichere Fluchtroute zu nutzen.

Die Armee veröffentlichte auch eine Karte mit der ausgewiesenen Straße. Mit diesem dreistündigen Zeitfenster dürfte die israelische Regierung auf die gestrige Forderung von US-Außenminister Anthony Blinken reagiert haben, eine humanitäre Waffenruhe einzulegen. Die hatte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu gestern erneut abgelehnt. "Ich habe deutlich gemacht, dass wir mit Volldampf weitermachen und dass Israel jede temporäre Feuerpause ablehnt, die nicht die Freilassung der entführten Israelis beinhaltet"

Blinken in Jordanien

Nach seinem Besuch in Israel will Blinken heute in der jordanischen Hauptstadt Amman mit seinen Amtskollegen aus Saudi-Arabien, Ägypten und anderen Ländern der Region über den Nahost-Krieg beraten. Jordanien wolle sich vor dem Treffen mit arabischen Staaten abstimmen, um "den israelischen Krieg gegen Gaza und die dadurch verursachte humanitäre Katastrophe zu beenden", meldete die jordanische Nachrichtenagentur Petra unter Berufung auf einen Sprecher des jordanischen Außenministeriums.

Oliver Feldforth, ARD Tel Aviv, über die Bemühungen von US-Außenminister Blinken für eine Deeskalation im Nahen Osten

tagesschau24, 04.11.2023 16:00 Uhr

Die US-Regierung rechnet einem Medienbericht zufolge in den nächsten Tagen mit dem Beginn einer neuen Phase des israelischen Feldzugs gegen die Hamas. Der Sender CNN berichtete unter Berufung auf einen ranghohen Regierungsbeamten in Washington, die Regierung von Präsident Joe Biden rechne mit einer Reduzierung der Luftangriffe und einem fortan stärkeren "taktischen Fokus auf die Bodenkampagne". Demnach dürfte es darum gehen, das riesige Netz unterirdischer Tunnelkomplexe zu räumen, von denen aus die Hamas operiere.

730 Ausländer auf Liste für Ausreise

Unterdessen stehen 730 Ausländer auf der Liste für die Ausreise über den Grenzübergang Rafah nach Ägypten. Das berichtet CNN unter Berufung auf ägyptische Grenzbeamte. Darunter befänden sich 151 deutsche Staatsbürger und knapp 400 US-Bürger. Aus US-Regierungskreisen hieß es, die Hamas habe versucht, ihre eigenen verletzten Mitglieder auf die Ausreiseliste zu setzen. Dies habe die ganze Aktion sehr erschwert.

Mit Informationen von Clemens Verenkotte, ARD-Studio Tel Aviv

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 04. November 2023 um 17:00 Uhr.