Junge Gründer im Iran "Meine Heimat, meine Zukunft"
Eine Zukunft im Iran: Für immer weniger junge Menschen ist das vorstellbar. Manche haben sich dennoch eine Existenz aufgebaut - trotz der wirtschaftlichen und politischen Krise des Landes.
Arezoo steht startbereit im Innenhof eines der historischen Herrenhäuser in Yazd, 600 km südöstlich von Teheran. Jetzt ist es ein Hotel. Die 31-Jährige ist selbstständige Reiseführerin für den Iran. Heute führt sie durch ihre Heimatstadt Yazd, deren historische Altstadt UNESCO-Weltkulturerbe ist. Nach den Corona-Jahren laufe das Geschäft endlich wieder gut, sagt Arezoo. Seit fünf Jahren ist sie Reiseleiterin.
Währung hat an Wert verloren
Vor Corona kamen Arezoos Kunden vor allem aus Europa, beispielsweise aus Frankreich, den Niederlanden oder Deutschland. Jetzt sind es vor allem Südafrikaner, Russen, Japaner oder Australier. Arezoo verdient genug, um in normalen Zeiten gut über die Runden zu kommen und um ihrem Hobby nachzugehen: "Ich bin nach Indien, Armenien, in die Türkei und vor drei Monaten zur Expo nach Dubai gereist. Ich bin da zu mehreren Pavillons von verschiedenen Ländern gegangen, in die ich nur schwer reisen kann."
Mit iranischem Pass bekommt man für Länder wie Israel oder die USA nur schwer ein Visum. Außerdem sind es wirtschaftlich keine normalen Zeiten mehr. Auslandsreisen sind auch für Arezoo kaum noch möglich: "Weil es in diesen Tagen für Iraner teuer ist. Die iranische Währung hat an Wert verloren."
Sie setzt sich ihre Sonnenbrille auf und macht sich mit ihrem kleinen Auto auf zur ersten Attraktion am Stadtrand von Yazd. In der prallen Sonne geht es 80 Stufen zu den Türmen des Schweigens rauf. Dort fanden noch bis vor rund 70 Jahren Himmelsbestattungen der Zarathustrier statt. "Man hat Körper von Toten hierher auf den Berg gebracht", sagt die junge Frau. "Dann sind die Aasfresser gekommen und haben die Körper gefressen."
Touristenführerin Arezoo (rechts) liebt es, Menschen aus aller Welt Yazd zu zeigen und ihnen die Kultur der Zarathustrier näher zu bringen.
Duldung durch das Regime
Stufe um Stufe geht es hinauf auf dem staubig-trockenen Boden in einer kargen Landschaft ohne Baum, ohne Grün. Arezoo schwitzt unter ihrem knallroten Tuch, das sie über die kurzen schwarzen Haare um den Kopf geschlungen hat. Sie nimmt es kurz ab und knotet es zu einer Art Mütze. Hier oben gehe das schon, sagt die 31-Jährige. Auch ihre kurze weiß-blau-gestreifte Bluse mit den hochgekrempelten Ärmeln und die enge Jeans sind nicht ganz konform mit den religiös geprägten Kleidervorschriften der Islamischen Republik.
Oben umschließt eine dicke Mauer den kreisrunden Innenbereich. Geier und Raben machten sich da einst über die toten Körper her. Nur wenige ausgewählte Männer durften damals in den Innenraum - um das, was die Vögel nicht mitnehmen, wegzuräumen. "Ich habe einen Onkel, der erinnert sich noch an all das", erzählt Arezoo. "Für mich wird das so zu lebendiger Geschichte. Und immer, wenn ich was zu einer Zeremonie oder einem Brauch erkläre, dann fühlt sich das so an, als würde ich zu dieser Geschichte gehören."
Arezoo ist selbst Zarathustrierin. Sie gehört damit einer Jahrtausende alten Religion an. Die geht auf den iranischen Priester Zarathustra zurück. Von den einst mehreren Millionen Anhängern sollen heute weltweit nur noch rund 130.000 übrig sein, rund 25.000 davon im Iran und knapp die Hälfte davon in Yazd. Das islamische Regime dulde die Zarathustrier im Land, erklärt die junge Frau. "Sie haben ihre Gemeinden und können da ihre Zeremonien und Feste abhalten. Es gibt auch extra Sportveranstaltungen."
Die historische Altstadt von Yazd mit ihren antiken Windtürmen steht seit 2017 in der Welterbeliste der UNESCO.
Heilige Orte und antike "Hochtechnologie"
Das nächste Ziel der Stadtbesichtigung ist wieder ein Heiligtum der Zarathustrier: der Feuertempel von Yazd. Drinnen können sich Touristen hinter einer großen Glasscheibe eine Flamme ansehen, die angeblich seit 1500 Jahren brennt. In ihrer Religion sind die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft heilig.
Die junge Reiseleiterin hat sich noch was Besonderes für die Tour aufgehoben: einen der berühmten Windtürme der Stadt in einem historischen Hotel. Man könnte sie als die Vorläufer der Klimaanlagen bezeichnen. Der Turm ist nach unten offen, darunter ein kleines Wasserbecken, das allerdings leer ist. Arezoo stellt sich hinein und spürt einen kühlen Luftzug: "Man sieht hier unter diesem Windturm einen Qanat, also einen unterirdischen Kanal. Das Wasser darin hat den Wind, der durch den Turm hier reinkam, abgekühlt."
Sechs Stunden war Arezoo an diesem Tag unterwegs. "Ich liebe das", bekennt sie. "Denn ich treffe verschiedene Leute aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Kulturen. Und was ich immer wieder interessant finde: Manche Emotionen sind sehr ähnlich bei allen Menschen auf der ganzen Welt." Was das ist, behält sie für sich.
Westliche Moderne in Shiraz
Ortswechsel. Farshad hat in Shiraz, einer Millionenstadt rund 900 Kilometer südlich von Teheran, zwei moderne Coffeeshops, und zwar ganz nach westlichem Vorbild - mit wilder, amerikanischer Gitarrenmusik. Melika an der Kasse trägt ein weites Karo-Hemd, dazu das obligatorische Kopftuch. Nur rutscht es der Studentin immer wieder runter. Irgendwann lässt sie es da.
Keiner beschwert sich, keiner schaut sie schräg an, schon gar nicht ihr Chef Farshad. Der setzt in seinem Café auf eine moderne Atmosphäre. Der 37-Jährige trägt ein schwarzes Hemd und Stoffhose. Seine schwarz-grauen, glatten Haare hat er nach hinten gegelt. Er ist ein Macher. Während er drei Männer mit Handschlag und Umarmung begrüßt, wandert sein Blick über die Terrasse, ob alles in Ordnung ist.
Coffeeshop-Besitzer Farshad hat sich mit den Sanktionen gegen den Iran arrangiert. Hier könne jeder "problemlos Geschäfte machen", sagt er.
"Die Menschen hier passen sich an"
Der Iran ist seit Jahren politisch und wirtschaftlich weitgehend isoliert. Westliche Firmen gibt es offiziell nicht, also auch keine Starbucks-Filialen. Für Farshad ein wichtiger Konkurrent weniger. "Natürlich ist das einerseits gut für uns, weil wir mehr Aufmerksamkeit kriegen", räumt er ein. Doch er gibt auch zu bedenken: "Wenn starke Marken das System in einem Land ergänzen, führt das dazu, dass alle Zweige dieser Branche wachsen." Die US-Sanktionen im Zusammenhang mit dem Atomabkommen erschweren internationalen Handel. Farshad muss Kaffee kaufen, der im Iran geröstet wird. Der sei aber gut, meint er.
Ein Handwerker kommt auf ihn zu. Er soll die Klimaanlage im Café reparieren und erklärt Farshad, dass er wegen der US-Sanktionen für dieses Modell keine Ersatzteile bekommt. Dann solle er das Ersatzteil eben selber bauen, meint Farshad. Es scheint, als würde er für alles eine Lösung finden. "Der Iran ist eines der Länder, in denen Sie problemlos Geschäfte machen können", sagt Farshad. "Natürlich stimmt es, dass es Sanktionen gibt und Preisschwankungen. Aber die Menschen hier passen sich an."
Kontrollen werden wieder strenger
Es ist Mittagszeit und gut was los. Der 37-jährige geht draußen auf der Terrasse von Tisch zu Tisch und hält überall einen kurzen Small Talk. Eine junge Frau trägt ein bauchfreies Top unter ihrer offenen Bluse. Andere rauchen Zigarette, haben schicke Handys und das Kopftuch um den Hals. Viele hatten vor einem Jahr mit der Wahl des ultra-konservativen Ebrahim Raisi zum Präsidenten befürchtet, dass er Freiheiten wieder einschränken würde, es mehr Kontrollen und auch Strafen in den modernen Coffeeshops geben würde.
Farshad fährt sich mit der Hand durch die gegelten Haare und sagt: "Niemand fragt Sie, warum hier alles so ist wie es ist. Und es sagt zum Beispiel auch keiner: 'Das ist nicht in Ordnung'. Wir respektieren und befolgen alle Regeln und Vorschriften." Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. Einige Wochen später sind auf dem Instagram-Account von Farshads Coffeeshop plötzlich Fotos zu sehen, wo weibliche Angestellte und Gäste nur noch mit korrekt sitzendem Kopftuch zu sehen sind. Die iranische Regierung hat die Kontrollen in den vergangenen Wochen massiv verschärft.