Verhandlungen im Nahen Osten Wie die Hamas um ihr politisches Überleben kämpft
Während die Hamas in Rafah gegen israelische Soldaten kämpft, wird im Ausland verhandelt. Nur ein dauerhafter Waffenstillstand sei akzeptabel, sagt ein Hamas-Funktionär. Doch die Terrororganisation steht massiv unter Druck.
Er hoffe, sein Englisch sei verständlich, sagt Osama Hamdan, und zumindest in diesem einen Punkt muss man ihm recht geben. Der Hamas-Funktionär spricht hervorragend Englisch. Es fällt ihm nicht schwer, mit wenigen Sätzen gleichzeitig scheinbare Kompromissbereitschaft und unverhohlene Drohungen zu formulieren.
"Es gibt eine echte Chance für eine Waffenruhe", sagt Hamdan. "Am Ende werden die Israelis sagen müssen, ob sie das Ergebnis akzeptieren oder nicht. Wenn sie es akzeptieren, müssen wir über die Umsetzung reden: Wann beginnt die Waffenruhe? Wer übernimmt die Kontrolle über Gaza?" Aber wenn die Waffenruhe längerfristig nicht auf ein Ende der Besatzung hinauslaufe, dann würde sich der Konflikt weiter ausweiten.
Osama Hamdan ist zugleich außenpolitischer Sprecher und hochrangiger Funktionär im Politbüro der Hamas. Er lebt in Beirut, im Süden der libanesischen Hauptstadt, den die schiitische Hisbollah-Miliz kontrolliert. Knapp 400 Kilometer von hier entfernt, in Rafah, hat die israelische Armee nach sieben Monaten Krieg und Verwüstung die letzten Hamas-Brigaden in die Enge gedrängt. Hunderte, vielleicht Tausende Milizionäre verstecken sich angeblich in Tunneln und Bunkern.
Dem außenpolitischen Sprecher der Hamas, Osama Hamdan, fällt es nicht schwer, mit wenigen Sätzen Kompromissbereitschaft und Drohungen miteinander zu verbinden.
"Sie haben ihr Narrativ. Wir haben unser Narrativ"
Die Hamas-Kader wissen sich derweil in Beirut vergleichsweise sicher. Ihr Hauptquartier liegt in einem mehrstöckigen Wohnblock. Unten im Erdgeschoss ist ein Supermarkt, im ersten Stock eine Kindertagesstätte. So wie das aussieht, nutzt die Hamas menschliche Schutzschilde auch jenseits von Gaza. Es ist ein vollkommen sinnloses Unterfangen, mit Hamdan über das Massaker vom 7. Oktober und die verheerenden Folgen für den Gazastreifen zu reden.
"Lügen", behauptet er, "alles Lügen." Die Hamas habe nur militärische Ziele attackiert. Es habe gar keinen Terrorangriff gegeben, kein Hinmetzeln von Zivilisten. Nicht die Hamas, die Israelis selbst hätten im Chaos der Schießereien Blutbäder in Kibbuzim und auf dem Musikfestival angerichtet. "Sie haben ihr Narrativ. Wir haben unser Narrativ", sagt Hamdan.
Erfolgreicher Kampf um die Deutungshoheit
Seit Monaten verbreitet die im Westen als Terrororganisation geächtete Hamas diese Version. So grotesk, so absurd sie auch sein mag, in weiten Teilen der arabischen Welt hat die Hamas längst die Deutungshoheit über den 7. Oktober gewonnen. Die rücksichtslose Kriegsführung der israelischen Armee in Gaza und der Tod von mittlerweile fast 35.000 Palästinensern hat jede andere Wahrnehmung verdrängt.
Der Hamas ist es gelungen, dem von ihr verübten Massaker den Rang einer für die islamische Umma (Gemeinschaft) wichtigen Mission, eines geradezu göttlichen Auftrags zu geben. "Taufan al Aqsa" - Al Aqsa-Flut nennt sie den Massenmord vom 7. Oktober. Der Schriftzug ziert als arabische Kalligraphie die Wände im Empfangssaal der Hamas-Vertretung in Beirut.
Für die Hamas wichtig sind Führungskräfte im Ausland
Hamdan nippt an einem Tässchen Kaffee und sagt: "Was die stockenden Verhandlungen angeht: Eine befristete Waffenruhe kann es nicht geben. Wir sind nicht bereit, ein paar Wochen abzuwarten und uns dann wieder von den Israelis abschlachten zu lassen. Da gibt es keinen Kompromiss." Einen dauerhaften, nachhaltigen Waffenstillstand - das wolle die Hamas. Dann werde man auch die Geiseln freilassen, sagt Hamdan.
Breit und selbstsicher sitzt er da. Hinter sich drei palästinensische Fahnen, neben sich sein Assistent und ein Bodyguard. Hamdan ist klug genug, um zu wissen, dass die Hamas militärisch nicht mehr viel aufbieten kann. Ausgeblutet und dezimiert, kämpft sie in Gaza ums nackte Überleben, im Libanon und in Katar um ihre politische Zukunft.
Wird sie auf dem Schlachtfeld vernichtet, kommt es am Ende auf ihr ins Ausland emigriertes Führungspersonal an. Auf Leute wie Ismail Hanija, den Chef des Politbüros, oder dessen Vorgänger Khaled Mashal. Beide leben in Katar. Wie Hamdan müssen sie davon ausgehen, ganz oben auf der israelischen Abschussliste zu stehen. So wie Saleh al Arouri, Gründer der "Kassam-Brigaden", des militärischen Flügels der Hamas. Nicht weit von hier, im Süden Beiruts, wurde er Anfang Januar bei einem Drohnen-Einschlag getötet.