Japan-Skepsis in China Die diffuse Angst vor dem Fukushima-Kühlwasser
Als unkalkulierbares Gesundheitsrisiko stuft China das Einleiten des Kühlwassers aus der Atomruine im japanischen Fukushima ein. Internationale Experten widersprechen. Doch in China dominiert das antijapanische Narrativ.
Der überdachte Xiaoguan-Markt im Osten Pekings. Gemüse, Früchte, frisches Fleisch und ganz am Ende: ein Fischstand neben dem anderen. Frischer Lachs, lebende Krebse, Shrimps, die sich in weißen Boxen winden.
Die Ware kommt überwiegend aus chinesischen Gewässern, aber seit Japan am Donnerstag erstmals gefiltertes Kühlwasser aus der Atomruine Fukushima ins Meer geleitet hat, machen sich die Händler hier große Sorgen. "Die Leute haben jetzt Angst vor Meeresprodukten", sagt ein Händler. "Das Verhalten der Japaner ist unmenschlich. Das zerstört die ganze Welt."
Auch für sein Geschäft sei das alles nicht gut, so der Händler: "Zwar kaufen die Leute jetzt erstmal mehr als sonst, um die Meeresfrüchte dann einzufrieren, aber danach kaufen sie gar nichts mehr. Mein Geschäft wird das treffen."
Von der IAEA als unbedenklich eingestuft
Die Kundschaft ist in der Tat verunsichert. Fisch aus Japan werde sie nicht mehr essen, sagt eine 52-jährige Frau. Auch japanische Restaurants seien für sie jetzt tabu. Sie mache sich Sorgen.
Japans Verhalten bedrohe das Leben und die Gesundheit der Menschen, schimpft ein Rentner. Das Meerwasser aus Fukushima fließe ja auch anderswo hin. Auch die Nachbarländer würden stark beeinträchtigt.
Internationale Wissenschaftler sehen das anders. Die radioaktive Konzentration des verdünnten Kühlwassers aus Fukushima ist so gering, dass die Internationale Atomenergiebehörde IAEA sie als unbedenklich eingestuft hat. Aber diese Argumentation und die Beschwichtigungen anderer unabhängiger Experten sind in China so gut wie nicht zu hören.
Das antijapanische Narrativ dominiert
Ein freier Diskurs ist in China nicht erlaubt. Unerwähnt bleibt daher auch, dass auch China Kühlwasser aus Atomanlagen ins Meer leitet. Wie viel das aktuell ist, ist unklar. Die IAEA verweist auf ARD-Anfrage an die chinesischen Behörden - aber die hüllen sich in Schweigen.
In der chinesischen Öffentlichkeit dominiert wegen der strengen Zensur allein das antijapanische Narrativ der Regierung: "Das Verhalten Japans führt zu unvorhersehbaren Schäden in den Weltmeeren und verschärft die Sicherheitsrisiken von japanischen Lebensmitteln, landwirtschaftlichen Produkten und Fischereiprodukten", sagt Shu Jueting, Sprecherin des chinesischen Handelsministeriums.
Damit rechtfertigt die Sprecherin den seit Donnerstag geltenden kompletten Einfuhrstopp für Fisch und Meeresfrüchte aus Japan. Wirtschaftlich sei das für beide Länder leicht zu verkraften, sagen Experten. Denn hochwertige Produkte aus Japan - Autos, Maschinen, Technologie - sind nicht betroffen.
Es gehe der chinesischen Führung vielmehr darum, politisch zu punkten, erläutert Chong Ja-Ian, Politikwissenschaftler an der National University of Singapore. "China sieht Japan als Teil einer US-Allianz, die China, so formuliert es die chinesische Führung, einkreisen und kleinhalten will. Dafür wird Japan jetzt abgestraft, weil es sich kritischer gegenüber China aufstellt, als es Peking lieb ist."
Tief sitzendes Misstrauen
Auch auf dem Xiaoguan-Markt ist viel Abneigung gegenüber Japan zu hören. Sie möge die Japaner nicht besonders, sagt eine Frau. Und ein Rentner meint, er werde Japan jetzt boykottieren.
Antijapanische Ressentiments sind in China wegen der komplizierten Geschichte beider Länder leicht abrufbar. Das Misstrauen sitze sehr tief, sagt Politikwissenschaftler Chong. Die große Unsicherheit und Skepsis würden dadurch verschlimmert, dass es nicht genügend Informationen über Fukushima gebe. "Das und das Misstrauen gegenüber Japan führen dazu, dass Ängste verstärkt werden - selbst wenn man der eigenen Regierung auch nicht vertraut."
Die Ängste haben sogar Panikkäufe ausgelöst. Wie schon 2011, nach der Atomkatastrophe von Fukushima, kaufen viele Menschen in China jetzt Salz. In manchen Supermärkten sind die Regale bereits leer. Chinas größter Salzproduzent rief die Menschen auf, sich doch bitte vernünftig zu verhalten. Denn nur zehn Prozent des Speisesalzes in China kommt aus dem Meer. Aber hartnäckig hält sich in China auch das Gerücht, dass bestimmte Salzsorten gegen radioaktive Strahlung helfen.