Libanon und die Beirut-Explosion Das Desaster nach der Katastrophe
Ein Jahr nach der Explosionskatastrophe in Beirut ist der Schutt zusammengeräumt. Viel mehr aber ist nicht geschehen - der Staat ist bankrott. Weitere Explosionen können nicht ausgeschlossen werden.
Der Hafen von Beirut heute: Von dem Krater, den das explodierte Ammoniumnitrat hinterließ, ist nichts zu sehen, der Kai, auf dem das Lager mit den Chemikalien stand, wurde einfach weggerissen. Sofort bahnte sich das Meer seinen Weg und füllte den Krater. Um das Getreidesilo - tausendfach fotografiert, weil es wie ein Mahnmal neben dem Explosionsort stehen blieb - wurde eine Sicherheitszone eingerichtet.
"Es neigt sich zur Seite, weil die Hälfte der Säulen unter dem Silo zerstört wurden", erklärt Joe Saab, neuer Hafendirektor für Planung und Projekte. Darum knicke das Gebäude langsam weg, zwei bis drei Millimeter jeden Tag. "Das ist viel. Ob ich erwarte, dass das Silo wegsackt? Ja, jederzeit."
Schiffe, die die Druckwelle kentern ließ, liegen mit dem Kiel nach oben im Hafenbecken. Überall Trümmerberge: Metallträger, verbogene Zäune und Autoreste ragen aus Betonbrocken heraus. Container sind verbogen, als hätte eine Faust eine Softdrink-Dose zerdrückt. Passiert ist hier nicht viel. Nur die Straßen sind sauber.
"Wir schieben alle Trümmer zusammen", sagt Saab und zeigt in verschiedene Richtungen. "Die französische Regierung will eine Firma das alles säubern lassen. Die haben schon ihre Pläne: Und sie werden bald mit den Reinigungsarbeiten beginnen."
Kein Geld für Sanierungsmaßnahmen
"Bald" wird auf jeden Fall mehr als ein Jahr nach der Explosion sein. Denn der Libanon ist bankrott. Politischer Filz, dazu Jahrzehnte lange Miss- und Vetternwirtschaft haben den Staat ruiniert. Er hat kein Geld für Sanierungsmaßnahmen.
In seinem Büro steht Jihad Beqa'i vor einem Stadtplan. Er ist Chef des Bauamtes von Beirut. Beqa'i sieht, dass es kaum vorangeht - wegen der Wirtschaftskrise und dem Währungsverfall: "Wenn wir Arbeiten in Auftrag geben wollen, verändert sich in kurzer Zeit der Wert des Geldes. Und die beauftragte Firma hört auf zu arbeiten, bevor sie begonnen hat." Einmal hätten sie einen Auftrag erteilt - zu einem Dollar-Kurs von einem US-Dollar zu 6000 oder 7000 Libanesischen Lira. "Als die Firma dann mit den Arbeiten beginnen wollte, stand der Kurs ein Dollar zu 20.000 Lira."
Das Problem dabei ist, dass im Libanon kaum etwas produziert wird. Firmen müssen fast alles importieren, auch viele Baumaterialien. Auf dem internationalen Markt sind die Währungen aber Dollar oder Euro.
Angst vor weiteren Unglücken
Der Rücktritt der libanesischen Regierung nach der Explosion hat den Niedergang beschleunigt. Doch die Bildung eines neuen Kabinetts scheiterte immer wieder. Der Libanon hat ein kompliziertes politisches System: Es sieht die Beteiligung aller anerkannten 18 Religionsgruppen im Land vor. Internationale Forderungen nach notwendigen Reformen des Politik- und des Wirtschaftssystems verhallten bisher. Auch daher gibt es für den Staat keine internationalen Finanzhilfen.
Das Grauen bleibt: Im Hafen von Beirut lagern wahrscheinlich noch mehr gefährliche Stoffe. Das zeigen die Brände, zu denen es nach der Explosion im Hafen kam. Und auch Hafen-Direktor Saab sieht die Gefahr einer neuen Explosion nicht gebannt: "Es gibt noch Container, die mit gefährlichen Chemikalien beladen sind. Und die Armee sucht nach ihnen. Wir haben Tausende Container, die geprüft werden müssen."