Präsidentschaftswahl in Aserbaidschan Im Rausch des Sieges
Nach 20 Jahren an der Macht stellt sich Aserbaidschans Präsident Alijew der Wiederwahl. Mit der historischen Rückeroberung Bergkarabachs im Rücken sollte ihm der Sieg sicher sein. Dennoch setzt er auf Aggressivität.
Sechs Gegenkandidaten stehen Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew gegenüber. Doch wie Herausforderer traten sie im Wahlkampf nicht auf. Statt ihn zu kritisieren oder zumindest alternative Konzepte zu debattieren, priesen sie den seit 20 Jahren amtierenden Machthaber in Fernsehshows, bei denen Alijew selbst gar nicht erschien. Die meisten von ihnen gehören regierungstreuen Parteien im Parlament an.
Die eigentlichen Oppositionsparteien weigerten sich, Kandidaten für die Präsidentschaftswahl aufzustellen. Sie wollten sich nicht an der Inszenierung von Demokratie beteiligen. Die Führung um Alijew unterwarf in den vergangenen Jahren alle gesellschaftlichen Bereiche ihrer Kontrolle, indem sie beispielsweise selbst zivilgesellschaftliche Organisationen initiierte und mit eigenen Leuten besetzte. Zudem verschärfte die Regierung seit 2022 die Bedingungen für Parteien und Medien, die nur noch mit staatlicher Registrierung aktiv werden dürfen.
Welle von Verhaftungen
Schon im Sommer 2023 kam der international bekannte Ökonom und Regierungskritiker Gubad Ibadoglu während eines Besuchs in Aserbaidschan in Haft. Der Gastprofessor an der London School of Economics hatte angekündigt, er wolle mit Institutionen in den USA, Großbritannien und der EU zusammenarbeiten, um aus Korruption generierte Vermögen sicherzustellen.
Im November dann begann eine Verhaftungswelle im Medienbereich. Mindestens 13 Medienschaffende kamen seither in Haft. Am härtesten traf es die Plattform Abzas Media, die immer wieder über Korruption auch in der Präsidentenfamilie berichtet hatte.
Als Alijew am 7. Dezember ankündigte, die Präsidentschaftswahl um mehr als ein Jahr auf den 7. Februar vorzuziehen, rechneten viele Medienschaffende und Regierungskritiker mit Besuch der Polizei. In der Tat gab es weitere Verhaftungen. Anwälte und Angehörige von Gefangenen berichten über Misshandlungen bis hin zu Folter in den Gefängnissen.
Alijew feiert sich als Sieger
Dabei könnte sich Alijew womöglich auch ohne Repressalien eine fünfte Amtszeit sichern. Im September erreichte er jenes Ziel, das in den vergangenen 30 Jahren die Identität des Landes geprägt hatte: Die Rückeroberung der Region Bergkarabach und sieben umliegender Gebiete, die seit einem Krieg Anfang der 1990er-Jahre von Armeniern kontrolliert wurden.
Alijew sorgte mit Unterstützung der Türkei, Israels und Russlands für eine Modernisierung der aserbaidschanischen Streitkräfte, die sie zur Einnahme Bergkarabachs befähigte. Die bergige Region hatte lange als uneinnehmbar gegolten. Nach einem letzten Militäreinsatz flohen bis Ende September etwa 100.000 Armenier aus Bergkarabach. Alijew ließ dort die aserbaidschanische Flagge hissen und seine Streitkräfte paradieren.
Aggressiv nach innen und außen
Nun fehlt Alijew noch ein Friedensabkommen mit Armenien, in dem seine militärischen Siege schriftlich fixiert werden. Wie um dies zu unterstreichen, kündigte er am 7. Dezember nicht nur die Präsidentschaftswahl an. An jenem Tag gaben Aserbaidschan und Armenien auch erstmals gemeinsam eine Erklärung heraus. Sie bekannten sich zur Normalisierung ihrer Beziehungen, ein Gefangenenaustausch wurde angekündigt und ausgeführt. Armenien erklärte zugunsten Aserbaidschans den Verzicht auf seine Bewerbung für die Austragung der UN-Klimakonferenz COP29. Sie findet nun im November in Baku statt.
Doch kaum hatten das neue Jahr und der offizielle Wahlkampf begonnen, schwenkte Alijew um. Erneut verschärfte er seine Rhetorik gegenüber Armenien. In einem TV-Interview mit regierungsnahen Sendern sprach er von dessen Hauptstadt Jerewan als historisch aserbaidschanischem Gebiet. Er forderte erneut die Eröffnung des "Sangesur-Korridors" zur Exklave Nachitschewan, der durch armenisches Territorium verlaufen soll, ohne dass Armenien Kontrolle darüber ausüben soll. Dabei hatte Alijew einige Wochen zuvor eine Ausweichverbindung durch den südlicher gelegenen Iran verkündet. In Armenien weckte dies Ängste vor einem neuerlichen Einmarsch aserbaidschanischer Truppen wie im September 2022.
Es geht um die Macht
Zu den Motiven Alijews schrieb der Historiker Altay Goyushov vom Baku-Forschungsinstitut auf X: "Weder wird Alijew die Repressionen gegen seine Kritiker im Inland, noch wird seine Propagandamaschine die Hass-Rhetorik gegen 'ausländische Feinde' beenden. Beides sind wesentliche Instrumente, um die Macht in den Händen der Herrscherfamilie zu halten."
Dabei hatte es in den vergangenen Jahren auch in Kreisen von Regierungskritikern geheißen, wenn Bergkarabach wieder unter Kontrolle Aserbaidschans stehe und die vollständige Souveränität zurückerlangt sei, dann werde in Aserbaidschan Demokratie einkehren.
Zwar wurde der Verwaltungsapparat reformiert und die Korruption auf den unteren Ebenen reduziert. Doch die Elitenkorruption bleibt problematisch und Einnahmen fließen in Prestigeobjekte, während die breite Bevölkerung mit hohen Preisen bei niedrigen Einkommen zurecht kommen muss. Zudem ist das Land am Kaspischen Meer trotz aller Reformankündigungen weiterhin ein vom Öl- und Gaspreis abhängiger Staat.
Welchen Weg Alijew nach der Wahl einschlagen wird, hängt nicht unmaßgeblich von internationalem Druck ab. Das zeigt sein Vorgehen in den vergangenen Monaten. Schon eine aufkommende internationale Debatte über mögliche Sanktionen und das Ausbleiben von Kooperation und Investitionen sorgte für aggressive Reaktionen von Seiten seiner Regierung. Denn der Bedarf an internationalen Investitionen in den Energiesektor sowie für den Aufbau der "befreiten Gebiete" ist hoch. Deshalb könnte Alijew sich nach der Wahl wieder gemäßigter geben - allein aus taktischen Gründen.