Interview mit Umfragen-Betreuer Arnd Henze "Situation der Frauen hat sich verschlechtert"
Zum sechsten Mal haben ARD, ABC und BBC die Stimmung in Afghanistan erkundet. 1691 repräsentativ ausgewählte Afghaninnen und Afghanen wurden befragt - diesmal allerdings unter besonders schwierigen Umständen. Darüber sprach tagesschau.de mit Arnd Henze, dem stellvertretenden WDR-Auslandschef.
tagesschau.de: Wer sind die Frauen und Männer, die die Umfrage durchführen?
Arnd Henze: Es sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unseres afghanischen Partners, des "Afghan Center for Socio-Economic and Opinion Research" (ACSOR), die alle sehr gut ausgebildet sind. Fast alle haben schon mehrere solcher Umfragen gemacht. Sie sind über das ganze Land verteilt, so dass sie keine weiten Anreisewege von Kabul in die abgelegenen Provinzen haben, sondern in ihrer eigenen Region in der Landessprache mit Frauen und Männern ihres Stammeshintergrundes und ihrer Ethnien Interviews machen.
Arnd Henze ist stellvertretender Auslandschef des Westdeutschen Rundfunks (WDR). In dieser Funktion betreut er die Umfrage in Afghanistan, bei der ausgewählte Personen mehr als 100 Fragen beantworten.
tagesschau.de: Machen die Befragten in der Regel mit bei den Interviews oder verweigern viele die Aussage?
Henze: Die Verweigerungsquote ist extrem gering. Wir haben gemerkt, dass es - egal ob bei Männern oder Frauen - eine große Bereitschaft gibt, sich auf die Interviews einzulassen und auch offen zu antworten. Viele der Befragten sind sehr meinungsfreudig. Die Interviews müssen natürlich in einem geschützten Rahmen und anonym stattfinden. Da darf kein Dorfältester daneben stehen und zuhören.
Interviewerinnen kamen nicht in Taliban-Dörfer
tagesschau.de: Die jetzige Umfrage war offenbar die bislang schwierigste. Warum?
Henze: In einigen Gebieten, in denen zum Teil heftig gekämpft wurde, war es diesmal vor allem für interviewende Frauen sehr schwierig, überhaupt in die ausgewählten Dörfer zu kommen. Dies betrifft abgelegene Gegenden, etwa 15 Prozent des Landes. Da haben wir wirklich zum ersten Mal eine Lücke. Dass wir dadurch nicht an die Frauen heran kamen, bestätigt den Trend, den wir auch in den Antworten der Umfrage feststellen konnten: Die Situation der Frauen in Afghanistan hat sich deutlich verschlechtert. Zumindest in den Dörfern, die fest unter der Kontrolle der Taliban sind.
tagesschau.de: Wie repräsentativ ist die Studie noch, nachdem die Stimmung in Teilen des Landes gar nicht untersucht werden konnte?
Henze: Wir sind sehr sicher, dass die Repräsentativität der Studie trotz dieser Lücke gewährleistet ist. Man kann unterstellen, dass durch die Befragung der Menschen in den unruhigen Gebieten sich der negative Trend, den wir diesmal festgestellt haben, eher noch verstärkt hätte. Unsere Vorgehensweise ist ansonsten die, dass in allen 34 Provinzen nach dem Zufallsprinzip Orte ausgewählt werden, in denen wir nach bestimmten Prinzipien fünf Gesprächspartner suchen. Es wird genau festgelegt, welche Gesprächspartner die Frauen und welche die Männer ansprechen müssen.
Pentagon hält seine Umfrageergebnisse geheim
tagesschau.de: Wie ist die Resonanz auf die Ergebnisse der Umfragen in Afghanistan selbst?
Henze: Das kann ich nicht sagen, weil wir die Ergebnisse dort nicht veröffentlicht haben. Unsere Partner für die Umfrage sind ja in den USA, in Großbritannien und in Deutschland - manchmal war auch die öffentliche japanische Rundfunkgesellschaft NHK dabei. Wir haben damit die Diskussion in Europa, in den USA und in Asien stark beeinflusst.
tagesschau.de: Wie ist die Resonanz auf die Umfragen hier in Deutschland?
Henze: Hilfsorganisationen und Forschungseinrichtungen, Ministerien, Bundeswehr und auch die NATO interessieren sich sehr für die Ergebnisse der Umfrage. Auch bei denen, die in Afghanistan tätig sind, besteht ein Wissensbedarf. Das Pentagon führt ebenfalls solche Umfragen durch, hält die Ergebnisse aber geheim. Ich denke, wir leisten durch die Veröffentlichung der Umfrage auch einen Beitrag zur Demokratisierung der Debatte um den Einsatz in Afghanistan. Kritik haben wir dann erlebt, wenn unsere Umfragen zu hoffnungsvoll erschienen. Da wurde uns dann von einigen unterstellt, wir wären Agenten des Geheimdienstes einer westlichen Regierung. Ich denke aber, wir zeigen mit unserer neuen Umfrage erneut, dass wir die positiven sowie die negativen Entwicklungen in Afghanistan unvoreingenommen und unparteiisch vermelden und analysieren.
tagesschau.de: Lassen sich denn aus der Umfrage konkrete politische Handlungsanweisungen ziehen?
Henze: Die Anworten sind viel zu differenziert, um sie auf einen Slogan zu verkürzen. Aber wenn man sich ansieht, wo sich die Lebensbedingungen verbessern oder verschlechtern, lässt sich auch ablesen, wo internationale Hilfe gelingt oder versagt. Daraus ergeben sich dann schon wichtige Hinweise für die weitere politische Diskussion.
Das Interview führte Regine Münder, tagesschau.de