Zehn Jahre NSA-Leaks Wie Snowdens Enthüllungen bis heute wirken
Vor zehn Jahren enthüllte Edward Snowden die gigantischen Spähprogramme des US-Geheimdienstes NSA und seiner Verbündeten. Auf der Flucht strandete er in Moskau, wo er heute noch lebt. Was haben seine Enthüllungen bewirkt?
Ab und zu gibt es noch Applaus für Edward Snowden in den USA, etwa im Juni 2022 auf einer Konferenz der Website CoinDesk zum Thema Kryptowährungen. Snowden war per Video aus Moskau zugeschaltet. Auf die Frage, was er bewirkt habe, sagte Snowden:
"Vor 2013 gab es Experten, Wissenschaftler, die verstanden haben, dass diese massenhafte Überwachung möglich ist, dass es wahrscheinlich vorkommt. Aber es war nur eine Vermutung. 2013 wurde daraus die Gewissheit, dass sich die Welt verändert hat, dass das Realität ist."
Held oder Verräter?
Ist Snowden im Rückblick ein Held oder ein Verräter? Beide Begriffe gehen zu weit, meint Erik Dahl, früher selbst Geheimdienst-Offizier, heute Professor an der Hochschule der US-Marine im kalifornischen Monterrey:
"Er hat sicher nicht so gehandelt, um sozusagen den Feinden der USA zuzuarbeiten. Obwohl es ihm heute kaum zu Gute kommt, dass er russischer Staatsbürger geworden ist", sagt Dahl. "Auf der anderen Seite hat er das Gesetz gebrochen, Geheimnisverrat begangen."
Eine Art Held kann Snowden nach Dahls Ansicht erst werden, wenn er in die USA zurückkehren und sich hier den Konsequenzen seines Tuns stellen würde: "Dann wäre er aus meiner Sicht ein wirklicher Held."
Was die Geheimdienste interessiert
Der deutsche Politikwissenschaftler Thomas Rid, der an der renommierten Johns Hopkins Universität lehrt, hat alle knapp 2700 Snowden-Dateien analysiert und katalogisiert. Sie entsprechen rund 4500 Seiten an Dokumenten. Besonders beeindruckend sind aus Rids Sicht die Fähigkeiten der USA zur Gegenspionage.
So habe die NSA "ausgeklügelte Methoden" entwickelt, gegnerische Dienste auf Netzwerken, in die sie selbst eingedrungen ist, zu entdecken. Wenn sie in ein Computernetzwerk eingebrochen sei, wolle sie zunächst wissen, wer neben ihr in das Netzwerk eingedrungen sei. Und entdecke sie jemanden, stelle sich die Frage, ob dieser Eindringling auch abgehört werde - um "nicht nur etwas über sein Ziel zu lernen, sondern auch darüber, was die so interessiert".
Rid hält die sogenannten Five Eyes, den Verbund der Geheimdienste der USA, Kanadas, Australiens, Neuseelands und Großbritanniens, im weltweiten Vergleich für einzigartig: "Diese Gemeinschaft, diese 'Intelligence Community' über fünf Länder hinweg, ist extrem kreativ. Ich denke, es ist extrem schwierig für andere Dienste - Deutschland, aber auch gegnerische Dienste wie etwa die Chinesen - derart agil und innovativ zu sein, wie es die Five Eyes vorleben."
Was geht und was nicht unter Partnern?
Durch die Snowden-Leaks wurde auch bekannt, dass die NSA auch das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört hatte. Wie verlässlich sind die USA dann als Partner aus deutscher Sicht?
Dass Verbündete sich gelegentlich auch nachrichtendienstlich ausspähen, sei ein Fakt, meint Geheimdienstexperte Rid. Andererseits müsse man auch berücksichtigen, dass Nachrichtendienste ihre Erkenntnisse auch miteinander teilen und sich auf Vorgänge hinweisen, bei denen sich eine weitere Recherche lohne. So habe die Bundesregierung tatsächlich über den Bundestags-Hack von 2015 über die Briten erfahren.
Am Ende hätten alle, die das Internet oder Dienste wie WhatsApp oder Signal nutzen, von den Erkenntnissen aus den Snowden-Leaks profitiert, meint Rid, etwa durch neu entwickelte Verschlüsselungs-Technologien: "Selbst wenn man Snowden für einen Verräter hält oder wenn man denkt, dass er das Falsche getan hat, muss man trotzdem anerkennen, dass sich die Internet-Sicherheit allgemein aufgrund dieser Enthüllungen verbessert hat."
Das nächste Leak - nur eine Frage der Zeit
Was der 21-jährige US-Soldat Jack Teixeira vor kurzem auf einer Gaming-Plattform veröffentlicht hat, sei ganz anders gelagert, als bei Snowden, betont Rid. Im jüngsten Fall gehe es nicht um technische Dateien, sondern um Texte, Berichte von Nachrichtendiensten, etwa über Details des Kriegs gegen die Ukraine - von Teixeira offenbar online gestellt, um vor gleichaltrigen Freunden anzugeben.
Doch für die Zukunft bedeute der Fall Teixeira: Das nächste Datenleck komme bestimmt. In den vergangenen 13 Jahren habe es fünf Mega-Leaks in den USA gegeben, rechnet Rid vor - also im Durchschnitt ungefähr alle 2,6 Jahre. Es sei "ziemlich peinlich" für die amerikanischen Nachrichtendienste, dass so etwas immer wieder passiere. Rids Fazit: "Ich rechne damit, dass es natürlich nicht das letzte Mega-Leak war."
Anm. d. Red.: In einer früheren Version hieß es fälschlicherweise, dass Edward Snowden nach Russland geflohen sei.
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