Sheinbaum gewinnt Wahl Wer ist die neue Präsidentin Mexikos?
Drogenkartelle, mangelnde Sicherheit und Migration - an Herausforderungen mangelt es Mexikos neuer Präsidentin Sheinbaum nicht. Was kann die erste Frau an der Spitze des lateinamerikanischen Landes erreichen?
Nach der Veröffentlichung der Wahlergebnisse jubeln ihr die Menschen auf dem Zócalo, dem zentralen Platz vor dem Regierungspalast, zu.
#EsClaudia - Claudia ist die Richtige. Diesen Slogan konnte man bereits vor ein paar Jahren im ganzen Land lesen - auf Mauern und Häuserfassaden gepinselt, bevor der eigentliche Wahlkampf lange nicht begonnen hatte.
Jetzt ist sie es tatsächlich geworden. Claudia Sheinbaum von der regierenden linken Morena-Partei, wird die erste weibliche Präsidentin Mexikos. Sie ist 61 Jahre alt. Ihre dunklen langen Haare trägt sie immer streng nach hinten gekämmt zu einem Zopf.
Sie wird oft als farblos und unterkühlt beschrieben. Ihr fehle das Charisma des mexikanischen Präsidenten. Andrés Manuel López Obrador hat die Nähe der Menschen gesucht, ist immer wieder durch das Land getourt und lehnte Auslandsreisen ab.
Sheinbaum sei nur seine Marionette, so der Vorwurf. Gelassen griff sie das vor ein paar Monaten auf einer Pressekonferenz auf: "Viele Kolumnisten sagen, ich hätte keine Persönlichkeit, und dass mir der mexikanische Präsident alles diktiert, was ich zu tun habe. Und wenn ich Präsidentin werde, dann würde er mich jeden Tag anrufen." Sie sei sich ihrer selbst sicher, betonte sie vor den Pressevertretern.
Physikerin und promovierte Umweltingenieurin
Sheinbaum repräsentiere aber auch den rationaleren und qualifizierteren Flügel von Morena, wie weitere Beobachter es formulieren. Die 61-Jährige hat einiges vorzuweisen. Sie ist Physikerin und promovierte Umweltingenieurin und war bereits die erste Bürgermeisterin der Millionenmetropole Mexiko-Stadt. Ihr Wahlerfolg hat sicherlich vor allem auch mit der großen Unterstützung des mexikanischen Präsidenten zu tun.
Nach wie vor kommt er auf Zustimmungswerte zwischen 50 und 80 Prozent. López Obrador war der erste Präsident, der die Armutsbekämpfung auf die Agenda gesetzt hat. Er hat einige Sozialprogramme aufgelegt. Unter anderem hat er den Mindestlohn verdoppelt. Dafür bekommt er viel Anerkennung von der mexikanischen Bevölkerung. Kritiker bezweifeln die Nachhaltigkeit seiner Programme.
Immer wieder betonte Sheinbaum, dass sie seine Politik fortführen werde und formulierte aber auch hehre Ziele: die Verbesserung des mexikanischen Bildungssystems und der Sicherheit. Zudem die Investition in saubere Energien.
Es sei jedoch wichtig, zeitnah effiziente Maßnahmen durchzuführen, erklärt der mexikanische Politologe Carlos Pérez Ricart. "Ab dem 1. Oktober, wenn die neue Präsidentin ihr Amt antritt, muss sie einen neuen Sozialpakt schnüren. Sie muss die Straffreiheit, die das organisierte Verbrechen heute in Mexiko genießt, beseitigen."
Einige Menschen glauben daran, dass Sheinbaum als Präsidentin einen Richtungswechsel bewirken kann.
Gewalt gegen Frauen großes Problem in Mexiko
Nach wie vor sterben täglich rund 100 Menschen eines gewaltsamen Todes. Elf davon sind Frauen. Mindestens zwei davon gelten als Femizid, Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Die Aufklärungsrate geht gegen null. Auch wenn der mexikanische Präsident etwas anderes behauptet, hat sich die Situation im Land kaum geändert.
95 Prozent der Straftaten werden nicht geahndet, die Täter kommen straffrei davon. In Teilen von Bundesstaaten wie Michoacán, Guerrero oder Tamaulipas gibt es schlicht keinen Staat mehr. Dort regiert das organisierte Verbrechen. "Wenn es keine Sicherheit gibt, wird das Problem der Armut und die Ungleichheit im Land nicht gelöst werden", so der Politologe Carlos Pérez Ricart.
Die Herausforderung ist immens. Der mexikanische Präsident hinterlässt seiner Nachfolgerin ein schweres Erbe. Laut Amnesty International gelten 114.000 Menschen als verschwunden.
Tanja Salazar sucht seit dem 30. Oktober 2022 ihren Neffen. Von einem Tag auf den anderen sei er in Michoacán verschwunden. Ein Bundesstaat, in dem das organisierte Verbrechen besonders aktiv ist.
Sie glaubt nicht daran, dass sich mit Sheinbaum etwas ändern wird. Dafür gebe es keine Anzeichen, sagt sie am Rande einer Demonstration von Familienangehörigen in Mexiko-Stadt. "Alle reden immer von einer Kommission von Verschwundenen, aber sie sprechen nicht darüber, wie sie ganz konkret die Familienangehörigen unterstützen können", so Salazar.
In einem Land, in dem die Kriminellen umarmt werden, wird sich nichts ändern.
Dennoch: Viele Menschen hoffen auf einen Richtungswechsel. Die Frage ist, wie sehr sich Sheinbaum langfristig von ihrem Amtsvorgänger freischwimmt. Ob sie die Energiewende voranbringt, statt weiter wie López Obrador auf fossile Energieträger zu setzen, das Militär und die Nationalgarde in seine Schranken weist, die unter dem mexikanischen Präsidenten immer mehr Macht auch im Inneren bekommen haben.
"Sie hat das Wissen und den Mut dazu"
In ihrer Zeit als Bürgermeisterin hat Claudia Sheinbaum ein Ministerium für Frauen aufgebaut und beispielsweise dafür gesorgt, dass es bei den öffentlichen Verkehrsmitteln extra Abteile für Frauen gibt und in besonders gefährlichen Stadtvierteln wie Itzapalapa mehr Beleuchtung. Doch das reicht nicht, um strukturelle Veränderungen zu bewirken. Nicht alles wird von ihrer eigenen Bereitschaft abhängen. Eine erste weibliche Präsidentin an der Spitze in Mexiko dürfte viele Gegenspieler haben in einem vom Machismus geprägten, verkrusteten System.
Die Feministin und Dokumentarfilmerin Guadalupe Sánchez Sosa glaubt an das Potenzial von Sheinbaum. Sie habe selbst zwar keine feministische Vergangenheit, aber sie habe eine soziale Prägung - auch aus ihrem Elternhaus. "Sie hat an einer öffentlichen Universität studiert, sie hat für die öffentliche Bildung gekämpft." Sie kenne das Land. "Und sie wird die richtigen Leute ins Kabinett holen, die sie und die feministische Bewegung stärken werden."
Hört man sich um, setzen viele große Hoffnungen in die neu gewählte Präsidentin. "Ich bin eine arbeitende und ehrliche Frau. Ich habe sogar einen Kloß im Hals. Sie ist die erste Frau, die unser Land vertritt, und sie hat das Wissen und den Mut dazu."
Die landesweit bekannte Sängerin Vivir Quintana, die sich in ihren Texten für die Rechte der Frauen einsetzt und die Gewalt gegen sie anprangert, erinnert Sheinbaum in einem Brief an die historische Schuld gegenüber den Frauen in Mexiko. Sie fordert Sheinbaum auf, klug und sensibel zu handeln angesichts "dieses Landes, das vor Schmerz schreit".