Krise in Kuba Ein historischer Massenexodus
Kuba leidet unter der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den 1990er-Jahren. Allein in den vergangenen zwölf Monaten haben mindestens 200.000 Menschen das Land verlassen - auch wegen der staatlichen Repression.
Aleida Rivera erinnert sich noch genau an den Tag, als sie ihren Sohn das letzte Mal in Freiheit sah. Sie sitzt auf einer Couch vor einer heruntergekommenen, beigen Wand. Im Hintergrund ist klassische Musik zu hören.
Rivera erzählt von ihrem Schicksal, in einer Videoschalte mit einem spanischen Europaabgeordneten. "Er sagte 'Mama, ich geh jetzt zu der Demonstration am Park'", erinnert sie sich. "Und dann hab ich ihm gesagt, was ich ihm immer sage: 'Pass auf dich auf! Und lass dich nicht in Auseinandersetzungen verwickeln.' Dann hat er mich um meinen Segen gebeten. Den hab ich ihm gegeben. Ich liebe ihn und unterstütze ihn weiter."
Verstärkte Fluchtbewegung seit Juli 2021
Ihr Sohn heißt Randy Arteaga und ist in Kuba als Rapper mit regimekritischen Texten bekannt. An einem Tag im Juli 2021 geht er protestieren: gegen staatliche Repression, für eine demokratische Öffnung des kubanischen Einparteiensystems und gegen die Versorgungskrise im Land.
Arteaga wird festgenommen und ins Gefängnis gesteckt - so wie etwa 1400 andere, die im Juli 2021 in dem Karibikstaat auf die Straße gegangen sind. Seither fliehen die Menschen massenweise vor der staatlichen Repression. Heute, anderthalb Jahre später, haben mehr als 200.000 Kubanerinnen und Kubaner ihr Land verlassen. Die Meldungen über Bootsflüchtlinge häufen sich seit Monaten.
"Machen alles, um flüchten zu können"
Erst am Wochenende waren 300 Geflüchtete aus Kuba auf der Dry-Tortugas-Insel im Golf von Mexiko angekommen. Der US-Nationalpark liegt etwa 160 Kilometer von Kuba entfernt. Die US-Behörden haben den Nationalpark jetzt vorerst geschlossen. Die Massenflucht aus Kuba wird das wohl kaum aufhalten. Oft ertrinken Migrantinnen und Migranten bei der Überfahrt. Viele fliegen aber auch nach Nicaragua und schlagen sich mit Bussen, Taxis oder zu Fuß bis zur US-amerikanischen Grenze durch.
Sie lassen dafür ihr ganzes Hab und Gut zurück, wie ein kubanischer Geflüchteter der Nachrichtenagentur AFP berichtet: "Die Menschen machen alles auf Kuba, um flüchten zu können. Wir haben unser Haus verkauft, unsere Sachen, alles, was wir hatten. Wir haben nichts mehr - immer mit dem Risiko, dass man abgeschoben wird und am Ende mit nichts da steht."
Wirtschaftlich am Boden
Für Kuba ist es ein historischer Massenexodus. Das kommunistisch regierte Land erlebt derzeit die schlimmste Wirtschaftskrise seit den 1990er-Jahren und liegt wirtschaftlich am Boden.
Schon Grundnahrungsmittel wie Brot oder Gemüse sind entweder schwer zu bekommen oder überteuert. Und auch der Tourismus, einer der wichtigsten Devisenbringer im Land, erholt sich nur schleppend von den Einschränkungen während der Corona-Pandemie.
Regierung beschuldigt USA
Die kubanische Regierung führt die Krise auf das Handelsembargo der USA zurück. In seiner Neujahrsansprache motiviert Präsident Miguel Diaz-Canel dazu, durchzuhalten. "Wir haben eines der herausforderndsten Jahre in der Geschichte der kubanischen Revolution gemeinsam gemeistert. Zum Start ins neue Jahr spüren wir die Kraft unseres historischen Erbes. Das nimmt uns die Angst", sagt Diaz-Canel. "Gleichzeitig ist es uns bewusst, dass es auch noch schwieriger werden kann."
Aleida Rivera hofft für das neue Jahr, dass sie ihren Sohn 2023 zumindest besuchen kann. Seit 18 Monaten sitzt er im Gefängnis. "Ich bin sehr, sehr stolz auf meinen Sohn, auch meine Familie ist das. Die Welt soll wissen, wie mutig er ist. Er sagt, was er fühlt. Egal was es ihn kostet."
Die Freiheit hat es den jungen Mann schon gekostet. Er ist zu insgesamt fünf Jahren Haft verurteilt worden.