Petros Amtseinführung in Kolumbien "Unsere zweite Chance beginnt"
Ein formaler Umbruch ist es bereits: Erstmals in der Geschichte Kolumbiens tritt ein erklärter Linker die Präsidentschaft an. Millionen Menschen hoffen auf einen Wandel. Ex-Rebell Petro gibt sich auf Augenhöhe.
Zehntausende Besucher, mehr als 70 Konzerte von Musikern aus dem gesamten Land, Fahnen, Volksfeststimmung: Die Amtseinführung des neuen kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro glich einem Festival.
Petro zitiert zu Beginn der Zeremonie aus dem Roman "100 Jahre Einsamkeit" von Gabriel García Márquez: "Alles, was darin geschrieben stand, galt für immer und ewig, weil die zu 100 Jahren Einsamkeit Verurteilten keine zweite Chance auf Erden hatten."
So oft in unserer Geschichte wurden kolumbianische Männer und Frauen dazu verdammt, keine Möglichkeiten zu bekommen. Ich möchte allen laut sagen, dass heute unsere zweite Chance beginnt.
Weiter erklärte Petro: "Wir sind hier. Trotz einer Geschichte, die besagte, dass wir niemals regieren würden. Dass wir keine Chance haben - gegen diejenigen, die die Macht nicht abgeben wollten."
Petro gibt sich als Präsident auf Augenhöhe
Es ist das erste Mal überhaupt, dass ein Linker - noch dazu ehemaliger Guerillero-Kämpfer - in Kolumbiens Präsidentenpalast einzieht. Bei der Zeremonie saßen auch ein Fischer, eine Straßenkehrerin, ein Kaffeebauer und eine Hausangestellte mit auf der Bühne.
Die Botschaft war klar: In Zukunft wird nicht mehr von oben herab, sondern mit den Menschen regiert. Soziale Bewegungen sollen nun am Entscheidungsprozess beteiligt werden. Kleinbauer Diego Andrés ist wie viele andere stundenlang im Bus angereist, um dabei zu sein. Er findet: Es war die Reise wert. "Nach so vielen Jahren, in denen uns niemand gesehen hat, in denen wir unsichtbar waren für die Mächtigen. Wir haben so lange auf eine Regierung gewartet, die einen Wandel bringt, die für die Menschen regiert und Millionen von Kolumbianern die Hoffnung zurückgibt."
Kolumbiens Präsident Gustavo Petro geht zusammen mit seiner Frau Veronica Alcocer Garcia hinter dem Schwert des lateinamerikanischen Befreiungshelden Simon Bolivar nach seiner Vereidigung auf der Plaza de Bolívar in Bogotá.
Riesige Erwartungen an Petro
Die Erwartungen sind riesig in einem der ungleichsten Länder der Welt, das im vergangenen Jahr von massiven Sozialprotesten erschüttert wurde: Petro hat sich den Kampf gegen Armut und für mehr soziale Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben. Er verspricht eine Renten- und Gesundheitsreform, sagte der Korruption den Kampf an. Und: Petro kündigte an, den Friedensprozess, der von seinen Vorgängern ausgebremst wurde, neu zu beleben. Denn die Gewalt hat nach wie vor große Teile des Landes im Griff.
Gespräche mit bewaffneten Gruppen aufnehmen
Petro betonte: Seine Regierung wolle Gespräche mit allen noch aktiven bewaffneten Gruppen des Landes aufnehmen. Und er richtete einen klaren Appell an die internationale Gemeinschaft: "Ein umfassender Frieden ist möglich, wenn wir zum Beispiel die internationale Anti-Drogen-Politik ändern. Es ist Zeit für eine neue internationale Übereinkunft, die anerkennt, dass der 'Krieg gegen die Drogen', wie er seit 40 Jahren geführt wird, völlig gescheitert ist."
Was ist von ihm geblieben? Unter anderem eine Million ermordete Lateinamerikaner.
Petro hat hohe Ambitionen
Zudem kündigte der studierte Ökonom an, Kolumbiens Wirtschaft grün umbauen zu wollen. Er will die Abholzung am Amazonas stoppen und fordert eine Abkehr von fossilen Brennstoffen. Große Herausforderungen, in einem Land, das mit den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ringt und in dessen Kongress Petros Linksbündnis keine Mehrheit hat. Sergio Guzman vom Think Thank "Colombia Risk Analysis" glaubt, dass die Realität der neuen Regierung schnell Grenzen setzen wird. Guzman erklärt, Petro habe in vielen Bereichen "einen wirklich radikalen Wandel angekündigt". Da werde er auf große Widerstände treffen - beispielsweise aus der Wirtschaft oder in den Streitkräften.
Er kann nicht an allen Fronten gleichzeitig kämpfen. Er hat weder eine Mehrheit im Kongress noch den finanziellen Spielraum.
Das werde, so Guzman weiter, bald zu Enttäuschungen bei Petros Anhängern führen - und eventuell auch zu Brüchen innerhalb der Koalition.
Petro muss auch seine Kritiker überzeugen
Petro war in jungen Jahren Mitglied der Guerilla M-19, lange bevor er seine mittlerweile mehr als 20-jährige politische Karriere begann. Nun muss er auch die Kolumbianer überzeugen, die mit seiner Regierung einen autoritären Linksruck befürchten.
Schon vor Amtsantritt hat Petro den Dialog mit der Opposition gesucht, sogar mit dem ultrarechten Ex-Präsidenten Álvaro Uribe. Petros Kabinett ist weniger radikal als durchmischt, denn er setzt auf Erfahrung und hat auch Konservative mit an Bord geholt. Vier Jahre, das weiß auch Petro, sind wenig Zeit, um 100 Jahre Einsamkeit zu beenden.