Das Goethe-Institut in Bogotá

Von Kolumbien nach Deutschland Mehr geregelte Migration - aber auch mehr Asylanträge

Stand: 17.07.2024 13:58 Uhr

Rund 15.000 Kolumbianer legen jedes Jahr Sprachprüfungen ab, um in Deutschland arbeiten zu können. Ein Migrationsabkommen soll diese Art von Zuwanderung noch erleichtern. Doch zugleich bitten Tausende Kolumbianer um Asyl in Deutschland. Wie kommt das?

Von Oliver Neuroth, ARD-Hauptstadtstudio

Johann Steven öffnet im Norden von Bogotá die Tür eines modernen Bürogebäudes mit verspiegelten Fenstern. Hier ist das Goethe-Institut untergebracht. Der Kolumbianer kommt einmal pro Woche hierher, um den Grundstein für seine Zukunft zu legen: ein Leben in Deutschland. Dafür lernt der 27-Jährige die deutsche Sprache.

Die nennt er die größte Barriere zwischen Kolumbien und Deutschland. Seit gut einem halben Jahr läuft schon sein Sprachkurs. Steven möchte das Niveau B1 erreichen und dann nach München umziehen. Dort habe er schon einen Job als Ingenieur sicher. "Deutschland bietet viel mehr Möglichkeiten als Kolumbien: eine bessere Lebensqualität und höhere Löhne", sagte er. Er werde in München das Vier- bis Fünffache seines Gehalts aus Bogotá verdienen.

Deutlich mehr Teilnehmer an Deutschkursen

Seitdem das deutsche Fachkräfteeinwanderungsgesetz gilt - seit März 2020 - hat das Goethe-Institut in Bogotá gut zu tun. Die Zahl der Sprachschüler hat sich verdreifacht. Pro Jahr nimmt das Institut an seinen vier Standorten in Kolumbien etwa 15.000 Deutsch-Prüfungen ab. Und erwartet in diesem Jahr einen weiteren Anstieg von 15 Prozent.

Olga Parra vom Goethe-Institut erklärt, dass der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt Schritt für Schritt einfacher werde. Wer auswandern wolle, könne sich von Kolumbien aus um alle Papiere, einen Deutschkurs samt Examen und einen Arbeitsvertrag kümmern.

Ein Migrationsabkommen wird vorbereitet

Künftig soll es für Kolumbianerinnen und Kolumbianer noch leichter werden, nach Deutschland zu gehen. Die Bundesregierung verhandelt mit der kolumbianischen Regierung über ein Migrationsabkommen. Beide Seiten sind daran interessiert: Deutschland braucht dringend Fachkräfte in verschiedensten Branchen. In Kolumbien leben mehr junge, gut ausgebildete Menschen als es dort passende Jobs für sie gibt.

Ein sogenannter "Braindrain" drohe daher nicht, sagt Joachim Stamp, der im Bundesinnenministerium für Migrationsabkommen zuständig ist, im Interview mit dem ARD-Studio Südamerika. "Ich weiß, dass viele junge Frauen in Deutschland das Funktionieren des Systems hier sehr schätzen, ebenso die Sicherheit im Vergleich zu Kolumbien."

Stamp nennt als Beispiel Pflegekräfte oder auch Erzieherinnen für Kindergärten, die aus Kolumbien nach Deutschland kommen könnten. Er wünsche sich viele gut qualifizierte Fachkräfte, sagt Stamp. Eine exakte Zahl schwebe ihm nicht vor.

Tausende stellen Antrag auf Asyl

Während die reguläre Migration aus Kolumbien ausgebaut werden soll, will man die Zuwanderung auf dem Asylweg dagegen stoppen. Die Zahl der Asylbewerber aus Kolumbien ist im vergangenen Jahr sprunghaft angestiegen, das Land rutschte in der deutschen Statistik am Jahresende auf die vorderen Plätze der Liste der Herkunftsländer. Rund 3.300 Asylsuchende aus Kolumbien haben die deutschen Behörden 2023 registriert.

Nach den Worten von Joachim Stamp haben diese Menschen keine Asylgründe, sie würden fehlgeleitet. "Es gibt offensichtlich organisierte kriminelle Strukturen, die sich daran bereichern, mit Fehlinformationen diese Reisen für die Menschen einzutüten und daran mitzuverdienen", sagt Stamp.

Ähnliche Beobachtungen hat Stefan Peters gemacht, der akademische Direktor des deutsch-kolumbianischen Friedensforschungsinstituts Capaz in Bogotá. Auch er ist bei seiner Arbeit auf kriminelle Angebote gestoßen, die Menschen aus Kolumbien nach Deutschland locken. "Es zirkulieren Videos in den sozialen Medien, wo suggeriert wird, man könne nach Deutschland kommen, Asyl beantragen und dann direkt arbeiten können. Also wirklich weit entfernt der Realität", sagt Peters.

Von solchen Angeboten werden oft Menschen in unsicheren Regionen Kolumbiens angesprochen. Der Bürgerkrieg gilt zwar als beendet, die Regierung hat 2016 einen Friedensvertrag mit der größten Guerillagruppe FARC geschlossen. Doch kleinere Guerilla-Bewegungen sind nachgerückt, haben sich vor allem in ländlichen Gebieten ausgebreitet und kämpfen dort um die Macht. Das lasse Menschen fliehen, sagt Stefan Peters.

Ist eine pragmatische Lösung denkbar?

Auf Medienanfragen reagieren diese Geflüchteten meist zurückhaltend. Ihre Situation ist schwierig: Sie haben in Deutschland meist keine Aussicht auf Asyl, weil Kolumbien kein Kriegsgebiet ist. Kommt das neue Migrationsabkommen, müssten sie Deutschland womöglich schnellstens verlassen - so sähe eine klassische Vereinbarung dieser Art aus.

Der Beauftragte für Migrationsabkommen, Stamp, stellt klar: Er könne sich vorstellen, dass gut qualifizierte Kolumbianer, die schon über den Asylweg gekommen sind, in Deutschland bleiben und arbeiten dürften. Aber darüber werde noch diskutiert.

Johann Steven setzt auf den regulären Weg: Er habe fast alle Papiere für seine Auswanderung zusammen und freue sich schon darauf, bald zwei Pässe in der Tasche zu haben. Das neue deutsche Staatsangehörigkeitsrecht soll es möglich machen. "Was viele Menschen von einer Auswanderung abhält, ist, dass man meistens den Pass seiner Heimat verliert. Das kann Nachteile bedeuten, wenn du deine Familie sehen willst, Besuche zuhause planst oder es einen Notfall gibt. Zu unserer Kultur gehört es, dass die Familie einen riesigen Stellenwert hat. Der Doppelpass ist für mich ein Grund, vielleicht länger in Deutschland zu bleiben."

Dazu kommt: Ein Teil seiner Familie lebt in Spanien. Fast um die Ecke von Deutschland, sagt Steven lachend. Ein weiterer Punkt, der Deutschland für ihn attraktiv macht.

Oliver Neuroth, ARD Berlin, zzt. Rio de Janeiro, tagesschau, 17.07.2024 05:08 Uhr