Sturm aufs Kapitol Wie viel Schuld tragen Soziale Medien?
Der Sturm auf das Kapitol wurde auch in den Sozialen Medien koordiniert. Kritiker werfen den Unternehmen vor, wie Brandbeschleuniger zu wirken. Auf Einsicht treffen die Vorwürfe im Silicon Valley nur bedingt.
Für Frances Haugen war der Sturm aufs Kapitol mit ein Grund, weshalb die Whistleblowerin öffentlich machen wollte, wie es wirklich bei ihrem mittlerweile ehemaligen Arbeitgeber Facebook zugeht.
Die 37-Jährige sagt, dem Social-Media-Konzern gehe Wachstum vor Sicherheit. "Sie haben gesagt: 'Wir haben die Wahl überstanden. Es gab keine Unruhen. Jetzt können wir die Abteilung auflösen.' Ein paar Monate später kam es dann zum Sturm aufs Kapitol. Mir ist da klar geworden: Sie haben gar kein Interesse, Facebook weniger gefährlich zu machen."
Facebook weist Kritik zurück
Ihr ehemaliger Arbeitgeber weist dagegen jede Verantwortung zurück. Von Selbstkritik keine Spur. Im Silicon Valley wird diese Meinung aber nicht geteilt. So hat der ehemalige Twitter-Chef Jack Dorsey bei einer Kongress-Anhörung im vergangenen Jahr zugegeben, sein Kurznachrichtendienst trage eine Mitverantwortung für die damals so aufgeheizte Stimmung. Die Brutstätten für Angriffs- und Mordpläne finden sich aber bei anderen, weniger bekannten Online-Plattformen. Ganz ähnlich wie in Deutschland derzeit mit Telegram.
Die Sozialen Netzwerke, allen voran Facebook, fungierten als Brandbeschleuniger, sagt Lisa Kaplan, die mit ihrer Firma Alethea Group Falschinformationen im Netz bekämpft. "Informationen verbreiten sich dort fast sofort, ohne Verzögerung. Egal ob sie wahr sind oder nicht. Über die großen Plattformen von Twitter, Facebook oder Instagram erreicht man ein breites Publikum. Auf Nischenangeboten wie Parler und Gab werden Inhalte nicht moderiert. Vermutlich fand die Planung und Koordination der Proteste hier statt, in geschlossenen Räume und auf verschlüsselten Kanälen."
Superspreader von Falschinformationen
Die ersten Verschwörungsmythen, die US-Wahlen seien manipuliert, sind nicht nach der Wahl, sondern Monate davor bereits im Netz zirkuliert. Donald Trump selbst hat via Twitter diese Behauptung noch verstärkt. Kaplan sagt, es sei nicht einzelner Social-Media-Post, der die Leute radikalisiere. Es sei ein langsamer Prozess, der letztlich die Wahrnehmung der Realität verändere.
Kritiker der sozialen Netzwerke im Silicon Valley meinen: Die Unternehmen müssten sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Ihre Gründung und ihr Wachstum habe sich inmitten einer demokratischen Gesellschaft vollzogen. Nur deshalb konnten sie so gedeihen. Sie müssten eingestehen, dass sie mit ihren wachstumsoptimierten Mechanismen zu Superspreadern von Falschinformationen geworden sind.
Keine Besserung in Sicht
Kaplan gibt ein Beispiel: "Bei unseren Recherchen zu paramilitärischen Gruppen in Michigan haben wir festgestellt, dass der Facebook-Algorithmus automatische andere militante Bewegungen empfiehlt. Das macht es für solche Organisationen einfacher, sich zu organisieren. Die Wirkungsweise des Algorithmus trifft aber auch auf unproblematische Themen zu, wie Umwelt oder Wandern. Facebook muss für sich entscheiden, welche Maßnahmen ergreift es, wenn sich etwas gegen unsere Demokratie richtet, wie die Planung gewalttätiger Angriffe."
Dass sich bei Facebook aber wirklich etwas ändert, so sagen hier viele Experten, das ist äußert unwahrscheinlich. Es dürfte bei den bevorstehenden Zwischenwahlen in diesem Jahr und bei den Präsidentschaftswahlen 2024 eher noch chaotischer und gewalttätiger zugehen.