Brasiliens Wahlsystem Bolsonaro schürt die Angst vor einem Komplott
Richtungswahl in Brasilien: Der linke Ex-Staatschef Lula da Silva könnte Präsident Bolsonaro aus dem Amt drängen. Bolsonaro schürt seit Monaten Zweifel am Wahlsystem. Was ist an den Vorwürfen dran?
"Die heutige Zeremonie symbolisiert den Respekt vor den Institutionen und vor der Demokratie", erklärte Richter Alexandre de Moraes, als er Mitte August den Vorsitz von Brasiliens Wahlgericht übernahm. Brasilien habe 156.454.011 Wahlberechtigte und gehöre damit zu den vier größten Demokratien der Welt, verkündete er. "Aber wir sind die Einzige, die Wahlergebnisse noch am selben Tag berechnet und veröffentlicht. Sicher, kompetent und transparent. Darauf ist unsere Nation stolz."
Im Publikum saß damals auch: Jair Bolsonaro, mit versteinertem Gesicht. Wiederholt hatte er in der Vergangenheit Zweifel an der Zuverlässigkeit der elektronischen Urnen geäußert, obwohl er damit selbst mehrmals gewählt wurde. Zunächst als Abgeordneter, 2018 dann als Präsident.
"Urne absolut robust"
"Brasilianische Wahlcomputer sind absolut zuverlässig. Das System gibt es nun seit mehr als 20 Jahren. Seitdem gab es keinen realen Betrugsfall", sagen Fachleute wie Thomas Traumann von der Getulio-Vargas-Stiftung. Vor 1996 wurde in Brasilien - wie in Deutschland heute noch - mit Papierstimmzetteln gewählt.
Das führte in einem Land, in dem damals 14 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Analphabeten waren, nicht nur zu jeder Menge ungültiger Wahlzettel. Es gab auch immer wieder Betrug. Mit Hilfe des Militärs entwickelten Computerexperten dann die Wahlcomputer. Die Software zur Stimmenauszählung wird bei jeder Wahl aktualisiert. Regelmäßig finden Sicherheitstests statt.
"Gegen Hackerangriff von außen ist die Urne absolut robust", erklärt IT-Experte Marcos Simplicio, der Vize-Koordinator der Tests an der Universität von São Paulo war. "Wir hatten Zugriff auf den Code, die Software. Wir konnten die Urne öffnen, uns mit der Hardware beschäftigen und haben nach Schlupflöchern gesucht." Nach acht Monaten Arbeit hätten sie nichts gefunden, was die Wahl beeinflussen könnte.
Unabhängiges Netzwerk
Die Urnen sind, das ist wichtig, nicht ans Internet angeschlossen. Nach Abschluss der Abstimmung entfernen die Wahlhelfer die Speicherkarte aus jedem Gerät und bringen sie zum örtlichen Büro der Wahlbehörde. Das leitet die Informationen über ein unabhängiges Netzwerk an die zentrale Auszählungsstelle in der Hauptstadt Brasilia weiter.
Nun machen in sozialen Netzwerken Theorien von einem angeblichen Komplott innerhalb der Behörde mit mehr als 1000 Mitarbeitern die Runde. Das elektronische System ermögliche nicht, dies nachzuprüfen. Bolsonaro drängt darauf, dass jeder Wähler eine Art Quittung für die Stimmabgabe ausgedruckt bekommt. Eine entsprechende Initiative ist vor einem Jahr im Parlament gescheitert.
Bolsonaro legt keine Beweise vor
"Die ganze Diskussion wird nicht mehr rational geführt, sondern auf der Ebene von Verschwörungstheorien", sagt Simplicio. Natürlich ließe sich die Überprüfbarkeit der Urnen verbessern. "Aber das eine impliziert das andere nicht." Wer sich einen Rauchmelder einbaue, wisse, dass es brennt, erklärt er. "Aber zu sagen: Wenn Sie keinen Rauchmelder in Ihrem Haus installieren, dann wird ihr Haus auf jeden Fall Feuer fangen. Das ergibt absolut keinen Sinn."
Doch Bolsonaro schürt die Betrugstheorie. Er behauptet auch, er hätte die Wahl 2018 eigentlich schon in der ersten Runde gewinnen müssen, auch wenn er dafür keine Beweise vorlegt. Mehrmals hat er gedroht, das Ergebnis der bevorstehenden Wahl nicht anzuerkennen.
Auch viele seine Anhänger sind überzeugt: Gewinnt ihr Kandidat nicht, dann muss Betrug dahinterstecken. Was nach einer möglichen Niederlage tatsächlich passiert könnte, ob gar chaotischen Szenen wie 2021 beim Kapitolsturm in den USA zu erwarten wären, bleibt die große Unbekannte.