Streit in Rio de Janeiro Mit der Seilrutsche den Zuckerhut hinab?
Mit 100 km/h den Zuckerhut hinab - das versprechen die Planer einer Seilrutsche, die an Rios geschütztem Wahrzeichen errichtet werden soll. Anwohner protestieren dagegen, viele Unterstützer haben sie aber nicht.
"Fora Tirolesa, Fora Tirolesa!" - "Weg mit der Seilrutsche", rufen die rund 200 Menschen, die sich am Fuße des Zuckerhuts versammelt haben - denn sie wollen nicht, dass der weltbekannte bucklige Hügel, Wahrzeichen von Rio de Janeiro und Teil einer Landschaft, die zum Welterbe zählt, verschandelt wird. Andre Ilha ist Bergsteiger und Anwohner - er ist empört:
Sie wollen den Zuckerhut verunstalten. Sie wollen die einzigartige Natur mit einer Seilrutsche verschandeln. So wird ein Weltkulturerbe zu einem kommerziellen Vergnügungspark.
Der Zuckerhut werde noch stärker besucht als sowieso schon. Es brauche keine Seilrutsche, man habe ja schon die Seilbahn. "Wir finden diese Idee furchtbar."
Vier Seilrutschen sollen in die Tiefe führen
Die Idee ist folgende: Unter der jetzigen Besucherplattform mit der Seilbahn soll noch eine weitere entstehen. Von dort sollen vier Seilrutschen aus ungefähr 400 Meter Höhe zum rund 150 Meter tieferen Nebengipfel gespannt werden. Rund 100 Wagenmutige könnten pro Stunde von einer Seite auf die andere sausen - bis zu 100 Kilometer pro Stunde schnell.
Eine Katastrophe für das sensible Ökosystem und die Anwohner, fürchtet Maria Arlinda de Castro: "Wir haben ja schon die Gondeln. Diese Zipline und das Geschrei der Leute, das wird uns alle erschrecken. Das wird ein Chaos."
Planer versprechen ein unvergleichliches Erlebnis
Adrenalin pur mit atemberaubender Aussicht, so sieht das dagegen Designer Guto Indio da Costa. Er steht in einem kühlen Konferenzsaal nicht weit vom Zuckerhut vor seiner Power-Point-Präsentation und kommt beim Erzählen ins Schwärmen: "Die Konstruktion der Rutsche ist sehr innovativ: die vier Stahlseile sind sehr glatt, und man sieht sie aus der Ferne nicht."
Sie würden keinen Lärm machen, verspricht da Costa. "Und die Aussicht aufs Meer, die zarte Brise, das Geräusch des Windes, die singenden Vögel - all das ist viel näher und macht die Fahrt zu einem unvergleichlichen Erlebnis."
Ähnlich wie hier in Moskau über die Moskwa sollen demnächst auch vom Zuckerhut hinab rasante Abfahrten mit der Seilrutsche möglich sein.
Erste Bohrungen fanden ohne Genehmigung statt
Da Costa hält seinen Vortrag in den Büroräumen von Bondinho, dem Unternehmen, das den Park um den Zuckerhut betreibt. Auch deren Geschäftsführer Sandro Ferndandes verteidigt das umstrittene Projekt: "Wir haben ein Gutachten einholen lassen, das besagt, dass die Eingriffe in die Natur minimal sind. Der Fels wird nicht beschädigt. Das finde ich wichtig zu erwähnen."
Doch die ersten Bohrungen - bereits Anfang März - fanden ohne entsprechende Genehmigung statt. Die lokale Behörde bekam Wind davon und stoppte die Bauarbeiten. Inzwischen haben sich Behörden und Betreiber aber geeinigt, und es geht weiter.
"Wem nützt das alles?"
Anwohnerin Claudio de Castro Barbosa ist fassungslos: "Der Berg ist denkmalgeschützt. Der Zuckerhut ist von der UNESCO ausgezeichnet worden. Der Fels ist so empfindlich. Wie kann man das jetzt zerstören wollen?" Das alles dürfe kein privater Vergnügungspark werden. Wem nütze das am Ende?
Die Petition gegen das Bauvorhaben in der 6,7-Millionen-Einwohner-Stadt wurde nur von rund 15.000 Menschen unterzeichnet. Lokale Medien berichten kaum darüber, viele Anwohner wissen noch gar nichts von dem Projekt, fürchten die Demonstrierenden. Bereits im Herbst soll die neue Attraktion eröffnet werden.