Armee gegen Paramilitärs Warum der Konflikt im Sudan eskaliert
Gewalt erschüttert seit dem Wochenende den Sudan. Wer kämpft gegen wen? Welche Rolle spielen die Paramilitärs der "Rapid Support Forces"? Was bedeuten die Kämpfe für die Zukunft des Landes?
Schüsse hallen durch Sudans Hauptstadt Khartum. Tiefflieger donnern über Wohngebiete. Das ganze Wochenende über kam es zu heftigen Kämpfen zwischen dem Militär und paramilitärischen Kräften. "Die Kämpfe gehen jetzt fast kontinuierlich weiter", berichtet Christine Röhrs, die das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung im Sudan leitet.
"Wir hören die unterschiedlichste Artillerie und versuchen dann, anhand dieses Soundtracks zu verstehen, ob es gefährlich nahekommen könnte", berichtet sie am Telefon. Für Zivilisten gebe es keine Informationen, außer: "Behaltet den Kopf unten und geht nicht ans Fenster, während zwei bis an die Zähne bewaffnete Gruppen Wohnviertel für die urbane Kriegsführung nutzen."
Hintergrund der Gefechte ist ein seit längerem schwelender Konflikt zwischen zwei großen Machtapparaten des Landes: die Armee gegen die paramilitärischen sogenannten Rapid Support Forces, kurz RSF. Dazwischen die Zivilisten, teilweise in höchster Not. "Es sind Schüler und Lehrer in Schulen gefangen und es sind Journalisten in Büros gefangen", sagt Röhrs. Menschen seien bei mehr als 40 Grad teils ohne Strom. "Und die Läden können nicht öffnen, um Wasser oder Medikamente zu verkaufen. Es gibt für das Leiden der Zivilisten offenbar keinerlei Verantwortungsgefühl."
Machtkampf zweier Männer
Der Grund für die Gewalt ist ein Machtkampf zweier Männer: auf der einen Seite der momentane Herrscher des Sudan und Oberbefehlshaber der Armee, General Abdel Fattah al-Burhan, auf der anderen Seite sein momentaner Stellvertreter, Milizenführer General Mohamed Hamdan Daglo, bekannt als Hemeti.
An den Händen beider Männer klebe Blut, sagt Amani al-Taweel vom Ahram-Forschungsinstitut in Kairo. "Die RSF haben im Darfur-Konflikt Tausende Dörfer niedergebrannt. Sie haben die Frauen vergewaltigt und große Menschenrechtsverletzungen begangen. Dafür sind beide Männer verantwortlich. Und bei der Revolution 2019 haben sie Demonstranten getötet."
Seit Langzeitdiktator Omar al-Bashir 2019 abgesetzt wurde, fordern viele Menschen im Sudan freie Wahlen. Doch das Militär stürzte vor anderthalb Jahren gemeinsam mit den paramilitärischen RSF die Übergangsregierung und General Burhan riss die Macht an sich. Aufgrund internationalen Drucks versprach er zwar, den Weg für eine zivile Regierung freizumachen. Doch das geplante Übergangsabkommen trat nicht in Kraft. Und die aktuelle Entwicklung bedeute, "dass dieser politische Prozess der letzten Monate am seidenen Faden hängt oder schon abgestürzt ist", so Röhrs.
Wesentlicher Bestandteil der Verhandlungen war eine Eingliederung der paramilitärischen RSF in die nationale Armee. Doch daran hatte offenbar Burhans Stellvertreter Hemeti wenig Interesse. Und deshalb eskalierte die Lage.
Hemetis Aufstieg durch Verbündete und Goldminen
Dem eigentlich ungebildeten Kamelhändler und Milizenführer Hemeti ist es gelungen, zu einem der mächtigsten Männer des Sudan aufzusteigen, einst unterstützt von Langzeitdiktator al-Bashir, reich geworden durch die Kontrolle über Goldminen, baute sich Hemeti mit den RSF eine beachtliche eigene Truppe auf - Berichten zufolge nahezu gleichstark mit der sudanesischen Armee.
Hemeti pflegt internationale Kontakte, wird unter anderem von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt. "Die Machtambitionen von Hemeti sind grenzenlos und reichen dahin, die Präsidentschaft im Sudan übernehmen zu wollen", so al-Taweel.
Welche Seite am Wochenende den ersten Schuss abgegeben hat, ist unklar. Doch jetzt droht der Sudan in neuer Gewalt zu versinken. "Ich glaube, dass die Revolution mit dem Abfeuern der ersten Kugel unterging. Die Krise ist sehr groß und kann zu einem Bürgerkrieg führen, der den Staat Sudan zerstören kann", sagt al-Taweel. "Das wird passieren, wenn die Stimmen der Deeskalation nicht gehört werden."
Eine Deeskalation, die vor allem die Zivilisten dringend brauchen. Laut UN sind im Sudan jetzt schon rund 16 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das ist rund ein Drittel der Bevölkerung. Millionen Zivilisten sind nach Angaben von Hilfsorganisationen akut von Hunger bedroht. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen teilte mit, seine Hilfe aufgrund der Kämpfe einstellen zu müssen. Drei Mitarbeiter wurden bei den Gefechten getötet, als sie versuchten, Hilfsgüter zu verteilen.