Libyen Die Wut nach der tödlichen Flut
Noch ist das ganze Ausmaß der Fluten in Libyen nicht klar. Doch längst macht sich Wut breit. Der Vorwurf: Korruption, Machtkämpfe und Nachlässigkeit haben das Unglück erst möglich gemacht.
Immer noch versuchen Menschen im nordostlibyschen Katastrophengebiet, ihre Angehörigen oder Nachbarn unter den Trümmern zu finden. Tausende gelten als vermisst.
Aber längst macht sich auch Zorn breit. Wut auf die Behörden, die im Vorfeld viel zu wenig getan hätten, um solchen Katastrophen vorzubeugen oder sich zumindest auf sie einzustellen. Es habe kein effizientes Vorwarnsystem gegeben und auch keinen Zivilschutz, der mit dem Unglück nicht hoffnungslos überfordert gewesen wäre.
Augenzeugen beschreiben Zerstörung
Ein Augenzeuge beschreibt dem Fernsehsender Al-Masar die Zerstörung in der Küstenstadt Al-Beida, die ebenso wie die Hafenstadt Darna stark betroffen ist.
Die Menschen hätten alles verloren, beklagt er. Jedes Jahr gäbe es solch eine Flut. "Die gleiche Flut?", fragt der Reporter staunend. "Ja, die gleiche Flut, nur etwas stärker in diesem Jahr." Nie hätten die Regierungen was dagegen getan.
Fehlende Investitionen in die Infrastruktur
Die politischen Kräfte würden sich an die Macht klammern und seien nicht bereit, diese mit anderen zu teilen, sagt Tim Eaton, Libyen-Experte des britischen Instituts Chatham House, gegenüber der BBC.
Man würde dann immer von Ausbrüchen bewaffneter Gewalt hören, aber es gebe auch einen versteckten Preis, den die Libyer jetzt zahlten. Es fehle nämlich am Willen, öffentliches Geld in die Infrastruktur zu investieren. Am Ende seien die Menschen dann solchen Katastrophen ausgeliefert.
Es ist nicht so, dass kein Geld da wäre. Laut Weltbank bescherte der Ölreichtum dem Staatshaushalt für 2022 schwarze Zahlen. Für 2023 erwartet der Internationale Währungsfonds in Libyen mit 17,5 Prozent sogar das größte Wirtschaftswachstum aller arabischen Länder.
Staudämme ohne Stahl
In einem Video auf der Plattform X, vormals Twitter, schauen zwei Männer auf die Trümmer von einem der beiden bei Darna gebrochenen Staudämme. Der Damm hätte ja nur aus Sand bestanden, sagt einer verblüfft. Sand zwischen zwei Mauern - offenbar ganz ohne Stahl gebaut.
"Die Katastrophe ist eindeutig! Die Nachlässigkeit ist klar! Die immer stärker werdende Korruption ist offensichtlich!", sagt Ex-Staatsraatssprecher Al-Senussi Ismail aus Tripolis im Programm des Fernsehsenders Sky News. "Diese Dämme wurden seit 30 Jahren oder länger nicht mehr gewartet. Jeder wusste, dass ein Sturm aufzieht und dass es regnen würde." Es gebe eine große Wut auf alle politischen Kräfte.