Härte gegen Regimekritiker Sippenhaft in Ägypten?
Der ägyptische Staat geht mit aller Härte gegen Oppositionelle vor. Auch deren Verwandte leben offenbar gefährlich. In den vergangenen Tagen sind die Väter von zwei im Ausland lebenden Exil-Ägyptern verschwunden.
Es war keine leichte Entscheidung für Fagr Eladly, nach Kairo zu reisen - aber sie wusste, was auf dem Spiel steht. 40 Stunden waren bereits vergangen, seit ihr Vater am Flughafen in Kairo festgesetzt worden war - ohne dass die Familie über seinen Verbleib informiert wurde.
Zwei Tage nach seinem Verschwinden am vergangenen Freitag landete die 30-jährige Deutsche mit ägyptischen Wurzeln in Kairo, um ihn ausfindig zu machen. "Ich weiß, dass mein Vater nichts getan hat, und dass mein Vater nicht politisch aktiv ist", sagt sie.
Härte gegen Regime-Kritiker
Es wäre nicht das erste Mal, dass der ägyptische Staat Menschen willkürlich verhaften oder verschwinden lässt. Die Sicherheitskräfte gehen mit aller Härte gegen Regime-Kritiker vor - und gegen deren Verwandten. Offenbar, um die Kritiker unter Druck zu setzen.
Fagr Eladlys Vater ist der Einzige in der fünfköpfigen Familie, der keinen deutschen Pass besitzt. Und die junge Assistenzärztin aus Frankfurt ist keine Unbekannte: Sie beschimpfte den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah Al-Sisi bei einer Pressekonferenz während dessen ersten Staatsbesuchs in Berlin vor acht Jahren als Mörder. Es war vielleicht der einzige Moment im Leben des ägyptischen Machthabers, in dem er Protest gegen seine Militärdiktatur selbst miterlebte.
"Ich bereue auf keinen Fall, dass ich mich für Menschenrechte eingesetzt habe und dass ich für andere Menschen sozusagen gesprochen habe und Zivilcourage gezeigt habe", sagt Eladly. "Auf der anderen Seite weiß ich, dass die Verhaftung meines Vaters auf jeden Fall zusammenhängen kann mit dem, was ich auf der Pressekonferenz gesagt habe."
Fagrs Vater wird die Verbreitung von Falschnachrichten zur Last gelegt, das weiß die Familie inzwischen - ein üblicher Vorwurf gegen Menschen, denen das ägyptische Regime keinen Rechtsbruch nachweisen kann. Wo er festgehalten wird, ist nicht bekannt, Kontakt zu einem Anwalt wird ihm verwehrt; nicht einmal seine Frau und seine Kinder dürfen mit ihm sprechen.
Kein Einzelfall
Es ist kein Einzelfall: Gerade erst wurde der Vater des ägyptischen Exil-Journalisten Ahmed Gamal Ziada in Gewahrsam genommen, wie dieser auf Twitter bekannt gab. Immer wieder werden in Ägypten die Verwandten von Regime-Kritikern verhaftet, sagt der ägyptische Menschenrechtsanwalt Gamal Eid.
Es gibt unzählige Beispiele: Von einem in Washington lebenden Ägypter, Mohamed Soltan, wurden sieben Familienmitglieder festgenommen. Im Fall des möglichen Präsidentschaftskandidaten Ahmed al-Tantawi wurden seinen Angaben zufolge ein Dutzend Verwandte verhaftet. Die Familien von einigen oppositionellen Medienschaffenden im Ausland wurden festgenommen - als Geiseln und als Druckmittel.
Diese Fälle offenbarer Sippenhaft häufen sich in jüngster Zeit - in einem Land, in dem das Festnehmen und Verschwindenlassen von Regime-Kritikern längst übliche Praxis ist. Ägypten-Experte Amr Magdi von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat ein Schema ausgemacht: "Das sind keine isolierten Fälle", so Magdi. "Das ist eine Handlungsweise, die Sicherheitskräfte verfolgen, um Kritiker im Ausland zum Schweigen zu bringen."
Der Regierung von Al-Sisi sei es gelungen, sämtliche Mainstream-Medien im Land unter ihre Kontrolle zu bringen oder sogar zu kaufen und Online-Medien zu zensieren - "aber es gelingt ihnen nicht, die Leute im Ausland außer Gefecht zu setzen."
Ägypten ist kein Rechtsstaat
Das ist offenbar ein Grund dafür, dass sie deren Verwandte in Ägypten unter Druck setzen. In dem bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt sind die Möglichkeiten, Rechtsbeistand und einen fairen Prozess einzufordern, sehr begrenzt. Denn Ägypten ist kein Rechtsstaat. Fagr Eladly macht sich deshalb große Sorgen um ihren Vater: "Mehrere Anwälte haben betont, dass das ein sehr rechtsfreier Raum ist. Das heißt, dass Menschen einfach nur festgenommen werden können, weil sie irgendeinem Sicherheitsdienst nicht gefallen."
In Kairo versucht die junge Deutsche nun, ihren Vater ausfindig zu machen und auf seine Freilassung zu drängen - obwohl sie sich dadurch auch selbst in Gefahr begibt. "Ich habe natürlich Sorge um mich, aber die habe ich im Moment zurückgestellt, weil es darum geht, dass mein Vater mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen meiner Aktivität festgenommen worden ist, und es geht jetzt darum, die Sorge zu überwinden und mich für meinen Vater einzusetzen."