"Nationaler Dialog" in Ägypten Phrase oder neue Phase?
Ägyptens Staatschef al-Sisi hat zum "nationalen Dialog" aufgerufen: Gefragt sind Ideen zum Ausweg aus den vielen Krisen. Doch noch sind viele Fragen offen - auch die, ob Oppositionelle mitreden sollen.
Die Worte ihres Staatsoberhauptes Abdel-Fattah al-Sisi ließen viele Menschen in Ägypten aufhorchen: Während eines Festbanketts vor einem Monat rief er zum "Nationalen Dialog" in seinem Land auf. Später hieß es, die Teilnehmenden sollen "hoffnungsvolle" Menschen mit Zukunftsideen sein, egal welcher Schicht sie angehörten. Ihre Ideen sollen wiederum Forschungszentren zusammenfassen - für wirtschaftliche und politische Schwerpunkte einer "neuen Republik".
Kräfte, die der ägyptischen Regierung und Präsident Sisi ergeben sind, begrüßten seinen Aufruf zum "Nationalen Dialog". So auch Taissier Mattar, der Sprecher eines regierungstreuen Parteienblocks: "Alle Vorsitzenden und Mitglieder des Parteienbündnisses erklären ihre einstimmige Unterstützung des ehrenwürdigen Aufrufes von Präsident Abdel-Fattah Al Sisi", bekundete er.
Wirtschaftsaufschwung gesucht
Ein Startdatum für den "Nationalen Dialog" ist bisher nicht bekannt. Und seine Zielrichtung auch nicht so recht - außer dass er eben wirtschaftliche und politische Schwerpunkte für Ägypten erarbeiten soll.
Wobei Sisi offenbar vor allem auf Ideen für die Wirtschaft setzt. Das machte er erst vor wenigen Tagen während einer öffentlichen Veranstaltung nördlich von Kairo deutlich, als er gegenüber Ministerpräsident Mustafa Madbuli betonte, es gebe viel zu besprechen: "Am Ende musst Du genau sagen: 'Ich sehe, Ihr macht das, das und das - und ich hätte es anders gemacht.' Du sagst auch: 'Ich stelle mir vor, mit Hilfe der Wissenschaft und der Planung hätte man es anders machen müssen, damit die Ergebnisse besser werden.' Und das ist es, was ich hören möchte."
Auch Ägyptens Wirtschaft leidet angesichts des weltweiten Wirtschaftsabschwungs durch Corona-Krise und Ukraine-Krieg: Geldmangel durch weniger Tourismus, dazu Weizenknappheit. Gleichzeitig steigen die Preise und der Unmut darüber in der Bevölkerung.
Ägyptens Staatschef Abdel-Fattah al-Sisi
Mitten in Verhandlungen mit IWF
Da müssen Ideen her, sagt Mohammed Anwar al-Sadat, ein gemäßigter Kritiker Sisis. "Sie müssen Leute - Ägypterinnen und Ägypter meine ich - zusammenbringen, um Ideen zu bekommen und den vielen Krisen zu begegnen: der wirtschaftlichen Krise, der Nahrungsmittelkrise, der Finanzkrise."
Manche Menschen in Ägypten fürchten, dass Sisis Forderung nach einem "Nationalen Dialog" eine Phrase sei, mit der er Unterstützung für weitere Wirtschaftsreformen gewinnen wolle. Zumal diese der Internationale Währungsfonds wünscht, und Ägypten mit dem IWF gerade über einen neuen Kreditvertrag verhandelt.
Doch so oder so dürfe der "Nationale Dialog" sich nicht allein um wirtschaftliche Prioritäten drehen, betonen mahnende Stimmen. Selbst Amr Adieb, Moderator einer prominenten Talkshow und ansonsten Gefolgsmann von Sisi, sagte: "Herr Präsident, was die Menschen unter Dialog verstehen, ist dies: Wenn sie am Nationalen Dialog teilnehmen, dann wollen sie über die Freiheiten sprechen - über Parteien, über öffentliche Räume und über Medien, die über alle Bereiche und alle Themen sprechen dürfen."
Sind auch Liberale geladen?
Sisi gilt als autokratischer Herrscher, der die Apparate mit aller Härte gegen kritische Köpfe vorgehen lässt. Tausende politische Gefangene zeugen davon, so Menschenrechtsorganisationen. Sisis Anhänger weisen nun darauf hin, dass es im Zuge seiner Forderung nach dem "Nationalen Dialog" versöhnliche Schritte gegeben habe: Die Freilassung einer Reihe von Aktivisten und Journalisten aus der Untersuchungshaft.
Obendrein, so erinnern Sisi-Anhänger, habe der Präsident während des Ramadans zwei prominente Liberale zum Fastenbrechen eingeladen; einer von ihnen war gerade erst aus dem Gefängnis gekommen. Mohammed Anwar al-Sadat sieht den angekündigten "Nationalen Dialog" auch als Folge westlichen Drucks, der auf eine politische Liberalisierung Ägyptens zielt.
"Vielleicht hat es teilweise auch damit zu tun, dass unsere europäischen und amerikanischen Freunde uns dazu geraten haben, uns zu öffnen - den Menschen mehr Raum zu geben, auch wenn es um das Recht auf freie Meinungsäußerung geht", meint er. Auch die Freilassung einiger Inhaftierter stehe in diesem Zusammenhang. "Aber wie weit das gehen wird, und wie ernsthaft das alles ist - da werden wir abwarten und sehen."
Eine Annäherung an die verfemten Islamisten wirkt beispielsweise unwahrscheinlich - zumal es gerade wieder Anschläge im Nord-Sinai gegeben hat. Der Druck scheint jedenfalls groß zu sein. Denn klar ist, dass Brot- und Benzin-Unruhen schon manche Regierung zu Fall gebracht haben.