Repräsentative Umfrage Die Hoffnung kehrt zurück nach Afghanistan
Die Hoffnung auf stabilere politische Verhältnisse, eine Schwächung der Taliban und spürbare Verbesserungen im Alltag: Die Afghanen sehen ihr Land auf dem richtigen Weg. Das ist das überraschende Ergebnis der neuen repräsentativen Umfrage von ARD sowie ABC und BBC.
Von Arnd Henze, WDR
Auf den ersten Blick scheinen die Zahlen zu schön, um wahr zu sein: trotz anhaltender Gewalt, Armut, Korruption und vieler anderer drängender Probleme blickt eine große Mehrheit der Afghanen erstmals seit Jahren wieder optimistisch in die Zukunft. In der Umfrage sehen 70 Prozent der Menschen ihr Land auf dem richtigen Weg - ein Anstieg um 30 Prozentpunkte gegenüber der letzten Untersuchung vor einem Jahr. Ebenso viele Afghanen sind überzeugt, dass es ihnen im nächsten Jahr besser gehen wird. Und mit Blick auf die langfristige Zukunft glauben 61 Prozent der Befragten daran, dass es ihre Kinder einmal besser haben werden, als sie selber - auch das eine deutliche Verbesserung gegenüber der letzten Umfrage (+14 Prozentpunkte).
Dieser Optimismus passt so gar nicht zur Stimmung in den USA und Europa, wo kaum noch jemand auf eine positive Entwicklung am Hindukusch setzt und sich die Debatten deshalb auf einen schnellen Ausstieg aus einem vermeintlich gescheiterten Abenteuer konzentrieren. Wer Erklärungen für diese auseinanderdriftenden Wahrnehmungen sucht, findet sie in den repräsentativen Antworten auf die mehr als 100 Fragen, die Ende Dezember in Interviews mit 1534 Afghanen in allen 34 Provinzen zusammen getragen wurden.
Trotz Wahlfälschungen froh über das Ergebnis
Einen ersten wichtigen Ansatz bietet die Sicht auf die Präsidentschaftswahlen im August. Während sich die Aufmerksamkeit im Ausland ganz auf die massiven Wahlfälschungen und die fehlende Legitimität des alten und neuen Präsidenten konzentrierte, sind die Afghanen vor allem froh, dass der von Gewalt, massiven Drohungen und Einschüchterungen begleitete Wahlprozess überhaupt zu einem Abschluss gefunden hat. Dreiviertel aller Befragten sind deshalb mit dem Ergebnis der Wahlen zufrieden, obwohl nur ein gutes Drittel meint, dass es bei den Wahlen mit ehrlichen Mitteln zuging. Darin kommt sowohl die Erleichterung zum Ausdruck, dass ein drohendes Machtvakuum und die Gefahr eines Bürgerkrieges verhindert wurden, als auch die pragmatische Einstellung, dass Korruption ohnehin ein prägender Bestandteil des afghanischen Alltags ist. Immerhin halten 95 Prozent der Afghanen Korruption für ein drängendes Problem.
Hamid Karsai geht jedenfalls mit einem breiten Vertrauensvorschuss in seine zweite Amtszeit. Drei von vier Afghanen sagen, er leiste gute Arbeit und trauen ihm zu, Sicherheit und Stabilität im Lande zu verbessern. Und auch andere staatliche Einrichtungen wie die afghanische Armee (70 %) und die Polizei (61 %) erfahren eine Zustimmung, die vermutlich mehr auf dem Prinzip Hoffnung als auf der tatsächlichen Leistungsfähigkeit dieser Institutionen beruht.
Der Strom fließt wieder - das schafft Jobs
Ein zweiter Faktor für den Stimmungsumschwung ergibt sich aus einigen spürbaren Verbesserungen in den alltäglichen Lebensbedingungen der Menschen. Das wird vor allem bei der Stromversorgung deutlich: Hatte vor einem Jahr noch eine große Mehrheit gar keinen oder nur stundenweise Zugang zu Elektrizität, sind weite Teile des Landes seit kurzem an ein funktionierendes Leitungsnetz angeschlossen. Das wiederum erleichtert nicht nur das tägliche Leben in den Privathaushalten, sondern schafft auch Möglichkeit, Kleinbetriebe zu starten und Jobs zu schaffen. Zwar ist es mit 41 Prozent immer noch eine Minderheit, die die Zugänge zu Jobs und wirtschaftlichem Aufstieg positiv bewertet – vor einem Jahr waren die Werte aber noch um ein Drittel niedriger. Positive Veränderungen zeigt die Umfrage auch bei der Versorgung mit bezahlbaren Lebensmitteln (+3 Prozentpunkte), beim Straßenbau und übrigen Infrastruktur (+9), bei den Möglichkeiten, sich frei im Land zu bewegen (+5) sowie bei den Frauenrechten (+4). Keine Verbesserung gibt es nach wie vor bei der medizinischen Versorgung und beim Zugang zu sauberem Wasser. Gegen den allgemeinen Trend verschlechtert hat sich die Bewertung der Bildungsmöglichkeiten (- 6), die in früheren Umfragen immer besonders positiv heraus stach.
Bei all den positiven Tendenzen handelt es sich um Verbesserungen auf niedrigstem Niveau. Der Maßstab, an dem die Menschen ihre Situation messen, sind viele Jahre von Krieg, Rechtlosigkeit und bitterster Armut – und einer Phase extremer Hoffnungslosigkeit, wie sie in der letzten Umfrage vor einem Jahr zum Ausdruck gekommen ist.
Bemerkenswert ist, dass die Verbesserungen im alltäglichen Leben nicht mit der internationalen Entwicklungshilfe in Verbindung gebracht werden. Nur gut jeder vierte Befragte (28 %) gibt an, persönlich von internationaler Hilfe profitiert zu haben. Dabei wünschen sich drei von vier Afghanen ein starkes Engagement internationaler Hilfsorganisationen. Ob die Hilfe tatsächlich so schlecht bei den Menschen ankommt oder es den Organisationen schwer fällt, im Schatten des Militärs als positive Kraft im Leben der Menschen wahrgenommen zu werden – das lässt die Untersuchung offen.
NATO-Truppen unbeliebt - aber Unterstützung für Obamas Strategie
Ein dritter Bereich, in dem sich vorsichtiger Optimismus breit macht, betrifft den militärischen Konflikt mit den Taliban und anderen Aufständischen. Sahen vor einem Jahr noch 43 Prozent der Afghanen eine Stärkung der Taliban, so ist dieser Wert heute auf 30 Prozent gesunken, während eine Mehrheit von 40 Prozent meint, die Aufständischen seien geschwächt. Damit wächst die Hoffnung, die Taliban könnten besiegt oder in eine Verhandlungslösung eingebunden werden.
Deutlich verändert haben sich dadurch auch die Schuldzuweisungen für die anhaltende Gewalt im Lande. Inzwischen sehen zwei Drittel der Befragten die Verantwortung bei den Taliban und Al Kaida, während nur noch 10 Prozent die Schuld bei USA und NATO sehen.
Noch immer ist die Haltung gegenüber USA und NATO aber grundsätzlich sehr kritisch. Der Rückhalt in der Bevölkerung liegt bei rund 40 Prozent, eine deutliche Mehrheit von rund 60 Prozent bescheinigt USA und NATO, ihre Aufgaben schlecht zu erledigen. Dass sich die Kritik dabei weniger auf die Anwesenheit als solche als auf das konkrete Verhalten des Auslands richtet, wird in der Bewertung der neuen Strategie von Präsident Obama deutlich: 60 Prozent der Afghanen befürworten eine befristete Aufstockung der internationalen Truppen, große Mehrheiten unterstützen zugleich die politischen Zielsetzungen der neuen Politik und sind zuversichtlich, dass sie erreichbar sind.
Dieser Optimismus ist insofern bemerkenswert, als die vor einem Jahr angekündigte erstmalige Truppenerhöhung unter Obama noch auf breite Ablehnung in der Bevölkerung gestoßen war. Offensichtlich erkennen inzwischen Teile der Bevölkerung an, dass die US-Truppen es einerseits tatsächlich schaffen, die Taliban aus umkämpften Provinzen zu verdrängen und andererseits zunehmend bemüht sind, zivile Opfer zu vermeiden.
Auffallend ist jedenfalls, dass die umkämpften Provinzen im Südwesten und Osten längst nicht mehr einheitlich auf Konfrontation zu den USA, der NATO und der Regierung von Präsident Karzai gehen. Vor allem in Kandahar gibt es in vielen Fragen einen überdurchschnittlichen Stimmungsumschwung - die Provinz Helmand liefert dagegen weiter ein extrem trostloses Bild.
Lesen Sie im zweiten Teil der Analyse über den spürbaren Ansehensverlust für Deutschland.