Privatkredit von Wulff "Aus purer Freundschaft verleiht keiner so viel Geld"
Ein Privatkredit, ein Urlaub in der Villa eines Freundes in Florida, ein stark vergünstigter Flug: Wie ist das Verhalten des Bundespräsidenten Christian Wulff zu werten? Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel attestiert ihm im Gespräch mit tagesschau.de einen Mangel an moralischer Sensibilität.
tagesschau.de: Bundespräsident Wulff lässt über seinen Sprecher erklären, dass er mit der Unternehmerfamilie Geerkens schon lange befreundet sei. Es sei ein rein privater Kontakt. Ist der Fall damit erledigt?
Wolfgang Seibel: Der Fall ist dann erledigt, wenn die Frage beantwortet wurde, was den damaligen Ministerpräsidenten veranlasst hat, einen Privatkredit in Anspruch zu nehmen, statt zur Bank zu gehen. Für einen politischen Funktionsträger ist das - gelinde gesagt - ein sehr fragwürdiges Verhalten.
tagesschau.de: Warum sorgt der Fall für so große Aufregung?
Seibel: Jeder Bürger stellt sich sofort die Frage nach den Gründen. Der Unternehmer gibt diesen Kredit entweder aus Freundschaft oder, um dafür eine Gegenleistung zu bekommen, vielleicht auch nur ganz indirekt. Aus purer Freundschaft verleiht jedenfalls niemand eine halbe Million Euro.
"Da liegt der Verdacht der Vorteilsnahme nahe"
tagesschau.de: Christian Wulff hat mit seiner Frau auch Urlaub in der Villa der Familie Geerkens in Florida gemacht. Der Flug wurde von dem damaligen Air Berlin-Chef Joachim Hunold kostenlos von Economy- in die Business-Class hochgestuft. Wie steht es hier mit der Moral?
Seibel: Man kann einem hohen Amtsträger nicht verbieten, private Freunde zu haben. Man kann ihm auch nicht verbieten, sich in deren Urlaubsvillen aufzuhalten. Aber Politiker müssen sich in ihrem Handeln schon fragen: 'Was für einen Eindruck macht das in der Öffentlichkeit? Werde ich meiner Vorbildfunktion gerecht?' Das muss sich ein Politiker auch fragen, wenn er von einer Fluggesellschaft kostenlos hochgestuft wird. Da liegt der Verdacht der Vorteilsnahme schon sehr nah.
tagesschau.de: Lässt sich aus all dem ein "System Wulff" herauslesen?
Seibel: Ich würde nicht von einem "System Wulff" reden. Aber man gewinnt den Eindruck, dass Herr Wulff eine gewisse Laxheit an den Tag legt. Und dass er besser beraten gewesen wäre, wenn er damals auf solche Aktionen verzichtet hätte. Es wäre schön, wenn er nun lupenrein nachweisen könnte, dass er solche Vorteile – und die sind es ja – finanziell beglichen hat.
"Es geht um die Vorbildfunktion"
tagesschau.de: Nach jetziger Faktenlage gibt es keine Rechtsverstöße. Was ist moralisch so brisant an dem Verhalten?
Seibel: Es geht um die Vorbildfunktion. So ein Verhalten hat Auswirkungen auf den gesamten Staatsapparat bis hinunter zum kleinen Finanzbeamten oder Sachbearbeiter im Einwohnermeldeamt. Die Maßstäbe, die an Menschen in hohen Ämtern angelegt werden, sind besonders streng. Und wenn die dann nicht streng, sondern eher lax ausgelegt werden, hat das unter Umständen ganz verheerende Auswirkungen. Dann nimmt es eben der kleine oder mittlere Staatsbedienstete auch nicht mehr so ganz genau, wenn es um Vorteilsnahme oder Korruption geht.
tagesschau.de: Gelten denn für Politiker zu Recht so hohe moralische Maßstäbe?
Seibel: Es müssen höhere moralische Maßstäbe gelten, weil die Gefahr, eine Gefälligkeit mit einer Gefälligkeit zu beantworten, so groß ist. Allein der Verdacht, dass so etwas geschehen könnte, reicht ja schon. Und im Fall Wulff mit der Reihe von Vorteilsnahmen kann man zumindest sagen: Der Bundespräsident hat hier keine große Vorsicht walten lassen.
tagesschau.de: Wie sähe Ihrer Meinung nach ein unanfechtbares Verhalten aus?
Seibel: Schlicht gesagt wäre mein Rat, die Finger von solchen Sachen zu lassen. Wulff war damals ja nicht unerfahren, sondern ein gestandener Politiker. Er muss wissen, wie solche Gesten wirken. Manchmal ist man verblüfft und erstaunt, wie oft es in der Politik an der dafür erforderlichen Sensibilität fehlt.
Die meisten Politiker sind durch und durch integer
tagesschau.de: Kann man generell in der Politik von einem Verlust von Moral sprechen?
Seibel: Ich glaube nicht, dass Menschen, die zu Macht und Einfluss gelangt sind, von vornherein stärker korrumpierbar sind. Aber sie stehen unter einem hohen Entscheidungsdruck und unglaublichen Terminzwängen. Damit wachsen Risiken. Wer ein solch hohes Amt inne hat, der muss für ein gutes Kontrollsystem sorgen. Auch das gehört zur Amtsführung mit dazu. Es gibt Gott sei Dank eine große Zahl von Politikern, in deren Verhalten sich nichts Anrüchiges findet. Dies hat etwas mit Professionalität zu tun und vielleicht auch mit der Stärke der jeweiligen Persönlichkeit.
tagesschau.de: Wulff hat das höchste Amt im Staate inne. Nimmt das Amt durch diese Vorfälle Schaden?
Seibel: Zum jetzigen Zeitpunkt nimmt dieses höchste Amt noch keinen Schaden. Es wird darauf ankommen, wie der Bundespräsident reagiert. Er sollte jetzt nichts unter den Teppich kehren und alle Fakten auf den Tisch zu legen. Und es kann die Situation eintreten, dass er dies in aller Öffentlichkeit persönlich tun muss.
Das Interview führte Simone von Stosch.