Probleme bei Raketen Verliert Europa seinen Zugang zum All?
Eigentlich sollte die neue Ariane 6-Rakete schon längst ins All fliegen. Doch wegen Problemen verzögert sich der Start. Und auch bei Vega-C gibt es Schwierigkeiten. Verliert Europa seinen unabhängigen Zugang zum All?
Ursprünglich sollte die Ariane 6 schon starten, noch während die Ariane 5 fliegt. Doch Europas neue Rakete hinkt drei Jahre hinter dem Zeitplan her - auch aufgrund der Corona-Pandemie. Noch testen die Ingenieure und Ingenieurinnen die Leistungsfähigkeit des neuen Modells. Dazu gehören sogenannte "Heißlauftests": Erst läuft das Triebwerk für 45 Sekunden, beim zweiten Mal mit mehr als 900 Sekunden schon weitaus länger. Nur wenn dabei keine Überraschungen auftreten, kann die Ariane 6 noch vor Jahresende abheben.
Ein Problem dabei: "Wir haben schon sehr viele Starts verkauft, obwohl die Rakete noch gar nicht geflogen ist", Jens Laßmann, Standortleiter der ArianeGroup in Bremen. "Und die Erwartungen des Marktes sind hoch." Das liegt auch daran, dass russische Sojus-Raketen aufgrund des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen nicht mehr genutzt werden.
40 Prozent geringere Kosten
Die größte Neuerung bei der Ariane 6: Die Oberstufe - der Teil der Rakete, in dem die Satelliten transportiert werden - ist mit einem wiederzündbaren Triebwerk namens Vinci ausgestattet. Es lässt sich bis zu vier Mal wiederzünden, und kann dadurch mehrere Satelliten auf verschiedenen Umlaufbahnen platzieren. Das heißt die Oberstufe bringt den ersten Satelliten zum Standort A, driftet weiter in den nächsten Orbit und liefert einen anderen Satelliten bei Standort B ab und so weiter.
Laut Laßmann braucht es diese Entwicklung, weil sich der Satellitenmarkt komplett geändert habe: "Wir müssen mehr verschiedene Missionen fliegen können, nicht nur in den geostationären Orbit, sondern auch in den niedrigen Erdorbit." Diese niedrige Umlaufbahn ist beispielsweise die ideale Position für Wettersatelliten oder Satelliten für die Erderkundung.
Die Oberstufen für das neue Modell werden wie beim Vorgänger Ariane 5 weiterhin in Bremen gebaut. Mit neuen Materialien und angelehnt an die Fließbandarbeit in der Automobil- oder Flugzeugindustrie werde beim Bau vieles von Robotern übernommen. Die Kosten sollen dadurch, verglichen mit dem Vorgängermodell, um 40 Prozent sinken, so Laßmann.
Mehr Konkurrenz
Die Ariane 6 soll auch dadurch die europäische Antwort auf die weltweite Konkurrenz sein. Denn schon lange bauen nicht nur Länder wie Russland, die USA, China oder Indien Raketen. Auch private Unternehmen, wie etwa Elon Musks Unternehmen Space X, drängen auf den Markt. Der Wettbewerb ist also größer geworden. Es gibt mehr Anbieter - wodurch die Preise, die Raketenhersteller für den Transport von Satelliten verlangen können, sinken.
Doch der erste Starttermin der Ariane 6 steht noch in den Sternen. Seitens der europäischen Raumfahrtagentur ESA heißt es: Man müsse noch gewisse "Meilensteine" erreichen. Aktuell stehen auf dem Prüfstand am DLR-Standort Lampoldshausen weitere "Heißlauftests" an. Das sind anspruchsvolle Versuche mit dem Ziel flugähnliche Bedingungen nachzubilden: Vom Betanken bis zum Wiederzünden des Triebwerks.
Zwei Mal hat die Oberstufe schon bestanden. Ein dritter Test folgt im Frühjahr. Dann stehen noch Tests von Haupt- und Oberstufe am französischen Raumfahrtbahnhof in Kourou an. Erst wenn diese Meilensteine abgeschlossen seien, könne man ein präziseres Startdatum nennen.
Probleme auch bei Vega-C
Und auch bei einem anderen europäischen Raumfahrtprojekt gibt es Probleme: Der zweite Flug der neuen Transportrakete Vega-C im Dezember schlug fehl. Der Grund: ein Problem beim Triebwerk. Derzeit fahndet eine unabhängige Untersuchungskommission nach der Ursache. Je nachdem, was dabei herauskommt, könnte auch diese Rakete für längere Zeit ausfallen.
Auch die Vega-C sollte die europäische Raumfahrt eigentlich wettbewerbsfähiger machen. Ihr Vorteil: Im Gegensatz zur kleineren Vorgängerrakete Vega kann die Vega-C höhere Nutzlasten, also schwerere Satelliten, mit bis zu 2,2 Tonnen in den Orbit befördern - und das zum gleichen Preis wie die bisherige Version.
Kein unabhängiger Zugang zum All?
Doch was heißt das für die europäische Raumfahrt? Europa hat ein Raketenproblem: "Wir sind in einer ernsthaften Krise des europäischen Trägerraketen-Sektors", teilte die europäische Raumfahrtagentur ESA im Januar mit. Denn der einstige Notfall-Plan der ESA, einfach mit russischen Sojus-Raketen den Engpass zu überbrücken, funktioniert wegen gegenseitiger Sanktionen aufgrund des Ukraine-Kriegs nicht mehr.
Im Sommer, wenn die letzten beiden Ariane 5-Raketen gestartet sind, ist Europa womöglich vorerst ohne unabhängigen Zugang zum All. In Bremen arbeiten Laßmann und seine Kolleginnen und Kollegen weiter unter Hochdruck. Zwei Modelle der neuen Ariane 6-Oberstufe haben sie schon gebaut: Eines davon für Tests in Lampoldshausen, das andere ist schon in Kourou - ebenfalls für Versuche. Das erste Modell, das dann tatsächlich fliegt, wird als nächstes geliefert.