Nobelpreisträger von 2021 "Ein Moment für die Ewigkeit"
Wie fühlt es sich an, den berühmtesten Wissenschaftspreis der Welt zu gewinnen? Im Interview berichtet der Chemiker List - Nobelpreisträger von 2021 - über den berühmten Anruf aus Stockholm und wie der Preis den Alltag verändert.
tagesschau24: Erinnern Sie sich noch an den Moment, als der Anruf kam?
Benjamin List: Ja klar, das kann man nicht vergessen, das war ein Moment für die Ewigkeit - und wunderschön. Und ein bisschen witzig war es auch, denn als Göran Hansson, der Vorsitzende der Nobel-Stiftung, anrief und sich gerade vorgestellt hatte, platzte es sofort aus mir heraus: "Ich freue mich wahnsinnig, ich bin überglücklich." Er antwortete aber nur mit: "Moment, sie wissen ja noch gar nicht, was ich Ihnen sagen will."
Das hat dann zu einem ziemlichen Schreck bei mir geführt. Ich dachte in dem Moment, vielleicht ruft er jetzt an, um mir zu sagen: "Sie kriegen den Nobelpreis nicht, und ich werde Ihnen auch weder in diesem noch in irgendeinem anderen Jahr den Nobelpreis verleihen." Aber zum Glück war es dann nicht so.
tagesschau24: Wo waren Sie in dem Moment, als dieser Anruf kam?
List: Ich war in einem Café in Amsterdam - kein Coffee Shop übrigens - und wollte mit meiner Frau gerade frühstücken. Dann klingelte das Telefon, auf dem Display eine unbekannte Nummer und darunter stand "Schweden". Da hat meine Frau gesagt: "So, das ist der Anruf." Und so war es ja dann auch. Ich bin dann rausgerannt aus dem Café und dann ist eben die gerade geschilderte Szene passiert.
Hinweise von Kollegen
tagesschau24: Ist man denn als Forscher jedes Jahr im Oktober nervös und denkt sich: "Vielleicht trifft es mich ja wirklich diesmal." Oder kriegt man schon Hinweise oder hat eine Vorahnung?
List: Nein, das ist alles komplett geheim und man weiß wirklich überhaupt nichts. Es gibt auch keine Quellen im Internet oder sonstwo, die ihnen sagen können, wer den Nobelpreis in diesem Jahr bekommt.
Der Chemiker leitet das Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. 2021 gewann er den Chemie-Nobelpreis.
Der 54-Jährige hat das Gebiet der Organokatalyse mitbegründet. Darunter versteht man die Steuerung oder Beschleunigung organischer Reaktionen mit Hilfe kleiner, metallfreier organischer Moleküle, die etwa aus den Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff oder Sauerstoff aufgebaut sind. Organokatalysatoren werden zum Beispiel in der Herstellung von Medikamenten eingesetzt.
Es ist aber schon so, dass - entgegen der Regularien - Kollegen schon mal zu einem sagen: "Ja, ich hab dich nominiert." Oder man hört irgendwo, dass man nominiert wurde, weil diejenigen, die nominieren - das sind ganz viele Professoren in der ganzen Welt - das eben nicht geheim halten, obwohl sie es eigentlich sollten. Insofern muss ich zugeben, dass ich wusste, dass ich ein Kandidat war. Aber ich hätte niemals erwartet, dass ich die Auszeichnung in meinem für Nobelpreisträger relativ jungem Alter auch wirklich bekommen würde. Das eine riesige Überraschung.
tagesschau24: Wie läuft denn die Nominierung? Wird man immer von anderen Kollegen vorgeschlagen?
List: Genau, das Nobelkomitee schreibt Briefe an Professoren in der ganzen Welt, akademische und ich glaube auch industrielle Forscher, die ein gewisses Renommee haben. Dazu kommen alle Professoren in den skandinavischen Ländern, denn die dürfen automatisch nominieren. Also das sind dann schon wirklich mehrere tausend Leute, die andere nominieren können. Und dann trifft sich die Kommission und trifft dann die Entscheidung.
Preis öffnet neue Türen
tagesschau24: Es ist jetzt in ein Jahr her, dass Sie den Preis bekommen haben. Was hat sich in Ihrem Leben als Chemiker seitdem verändert?
List: Bis dahin habe ein relativ beschauliches Leben am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung führen dürfen. Ich habe relativ wenig Lehrverpflichtung und bin auch administrativ recht frei. Aber durch den Nobelpreis ist das jetzt so intensiv geworden, dass quasi jeder Tag durchgetaktet ist. Im Moment ist es echt verrückt, dass ich im Prinzip jetzt zwei Jobs habe: Meine Forschung, also meine Abteilung hier in der MPG und darüber hinaus habe ich noch den Job eines Nobelpreisträgers, wodurch ich viel mehr in der Öffentlichkeit stehe. Also das ist sehr intensiv geworden.
tagesschau24: Haben sich Türen geöffnet, von denen Sie dachten, okay, die öffnen sich nie im Leben eines Forschers?
List: Im September 2021, also vor der Bekanntgabe, wollte ich eine Kooperation mit BioNTech anfangen, wo natürlich auch relativ viel los war in dem Moment. Und das ging so relativ zögerlich los. Ich hatte dann Kontakt mit denen aufgenommen und die meinten: "Ja, schon ganz interessant." Dann hörte ich wieder ganz lange nichts.
Aber als der eine Nobelpreis kam auf einmal: "Ja, wir würden Sie gerne treffen, Herr Sahin möchte Sie sehen." Und dann ging das alles relativ schnell los und es läuft seitdem. Also insofern, wahrscheinlich haben sich schon gewisse Türen auch geöffnet wissenschaftlich.
Ehrenmitglied bei der Eintracht
tagesschau24: Und was hat sich im Leben von Benjamin List verändert mit dem Nobelpreis?
List: Da gibt es eine ganz nette Sache. Ich bin bekennender Eintracht Frankfurt-Fan, schon seit meiner frühesten Kindheit, weil ich ja auch in Frankfurt aufgewachsen bin. Und da haben sich eben die Türen geöffnet, dass die mich zum Ehrenmitglied gemacht haben. Ich bin inzwischen auch in der Kommission für Nachhaltigkeit bei Eintracht Frankfurt und wurde auch eingeladen, um auf dem Rasen zu erklären, wofür ich den Nobelpreis bekommen habe. Was ganz lustig war, weil die Eintracht-Fans brav geklatscht haben, aber die gegnerischen Fans mich dann ein bisschen ausgebuht haben.
Und was sich natürlich auch verändert hat, ist, dass es einfach ein bisschen intensiver ist und auch anstrengender. Also wunderschön natürlich die allermeiste Zeit, aber eben auch manchmal ein bisschen anstrengend.