Helgoland Babyboom bei Kegelrobben
Seit Jahren steigt die Zahl der neugeborenen Kegelrobben auf Helgoland. Auch in diesem Jahr sind bereits viele Junge zu beobachten. Was sind die Gründe dafür?
Von Laura Albus, NDR
Der Strand auf der Helgoländer Düne ist dicht belegt. Nicht etwa von Badegästen mit Handtüchern, sondern von Kegelrobben und ihrem Nachwuchs. Etwa 1500 Tiere tummeln sich aktuell auf der Insel. Denn jedes Jahr von Ende November bis Anfang Januar kommen die trächtigen Kegelrobben nach Helgoland, um auf der kleinen Nebeninsel - der sogenannten Düne - ihre Jungen zur Welt zu bringen.
Die Besucher dürfen die Kegelrobben auf der Düne beobachten - ihnen jedoch nicht zu nah kommen.
Hunderte Junge jedes Jahr
Aktuell ist wieder Hochsaison, täglich kommen Neugeborene hinzu. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Kegelrobben auf der Nordseeinsel gestiegen "im Winter 2019/20 waren es 531 Geburten, 2020/21 bereits 632 Geburten und in der vergangenen Saison 669 Geburten.
Biologin Rebecca Ballstaedt leitet die Helgoland-Station des Vereins Jordsand, der sich dem Schutz der Seevögel und der Natur widmet. Auch nach acht Jahren auf der Insel ist sie immer noch fasziniert von der Kegelrobbe - Deutschlands größtem Raubtier. "Es ist immer wieder wunderschön zu sehen, wie die Jungtiere hier geboren und versorgt werden." Für sie: Ein wahnsinniges Naturphänomen.
Besondere Fellzeichnung
Die Kegelrobben, die ihren Namen durch den kegelförmigen Kopf erhalten haben, sind Säugetiere. Fünf bis sieben Mal täglich trinken die Jungtiere Muttermilch, und nehmen so in den ersten Wochen etwa anderthalb Kilogramm pro Tag zu, erklärt die Biologin. Während ihrer ersten Lebenswochen haben die Jungtiere das sogenannte Lagunofell, das sie bereits im Mutterleib entwickeln. Dieses helle Fell, das aufgrund des Fruchtwassers einen Gelbstich hat, schützt sie vor Wind und Kälte, ist aber nicht wasserdicht.
Deshalb verbringen die Jungtiere ihre ersten Wochen auch komplett an Land - zum Beispiel auf den Stränden der Helgoländer Düne. Nach einigen Wochen setzt der Fellwechsel ein. Dann wird das weiße Fell durch ein Schwimmfell ersetzt. Von da an sorgen die Jungtiere auch für sich alleine, das heißt sie bringen sich das Jagen selbst bei. Das Fell, das sie dann besitzen, bleibt ihnen für den Rest ihres Lebens erhalten, erklärt Ballstaedt: "Die Fellzeichnung der Tiere ist individuell wie unser Fingerabdruck."
Jede Robbe hat eine ganz individuelle Fellzeichnung.
Tiere kommen zurück nach Helgoland
Warum die Tiere sich ausgerechnet auf Helgoland so zahlreich niederlassen, ist nicht abschließend geklärt. Ballstaedt sieht neben der Tatsache, dass sich etablierte Wurfplätze offensichtlich herumsprechen, auch das Nahrungsangebot vor Ort als möglichen Grund. Und einige der Weibchen, die auf Helgoland ihre Jungen zur Welt bringen, haben dort ebenfalls das Licht der Welt erblickt. Das belegt eine grüne Flossenmarke, die Ballstaedt bei einem Weibchen entdeckt hat.
Das sei häufig so, erklärt die Biologin: "In der Regel suchen sie ihren Geburtsort wieder auf." Allerdings gebe es in den Kolonien, zu denen sich die Kegelrobben während der Jungtieraufzucht zusammentun, irgendwann Kapazitätsgrenzen. Dann müssten sich die Tiere andere Strände suchen.
Besucher durch Metallzaun getrennt
Einen weiteren Grund für die steigende Zahl der Robben sind laut Ballstaedt auch die Schutzmaßnahmen, die vor Ort getroffen werden. Verletzte Tiere beispielsweise werden von Fachpersonal, den sogenannten Seehundjägern, im Ernstfall aus der Kolonie entnommen und behandelt. Hinzu kommt, dass es seit dem vergangenen Winter eine besondere Besucherlenkung gibt. Bisher durften sich Besucher den Tieren bis auf 30 Meter nähern und hielten sich teilweise mitten in der Kolonie am Strand auf. Das führte laut Ballstaedt öfters dazu, dass Menschen zwischen Mutter- und Jungtier gelangten.
Aber seit vergangenem Jahr ist das nicht mehr möglich: Ein kilometerlanger Metallzaun mitten auf dem Strand trennt Menschen und Tiere. Und der Südstrand ist komplett für Besucher gesperrt, sodass die Tiere dort absolute Ruhe haben. Besucher können die Robben von einem in den Dünen gelegenen Panoramaweg beobachten. Egal ob aus nächster Nähe oder mit einigen Metern Abstand: Wenn Menschen die Tiere in freier Wildbahn erleben, so hofft Ballstaedt, würden sie auch verstehen, dass diese Tiere schützenswert sind.
Kämpfe auf dem Sand
Doch auch unter den Tieren gibt es manchmal Schwierigkeiten: Immer wieder kommt es vor, dass Jungtier und Mutter, die normalerweise nur wenige Meter voneinander entfernt liegen, durch ein anderes Mutter-Kind-Paar getrennt werden. Das führt zu Kämpfen zwischen den ohnehin geschwächten Weibchen - denn während der Säugezeit verlieren sie etwa ein Viertel ihres Körpergewichtes.
Aber nicht nur für Weibchen und Jungtiere ist der Dezember ein anstrengender Monat. Auch die Männchen tragen oft blutige, harte Kämpfe auf dem Sand aus. Dabei werden sie bis zu 20 Stundenkilometer schnell und fügen sich tiefe Bisswunden zu. Laut einer Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover kommt es dabei auch immer wieder zu kannibalischem Verhalten unter den Kegelrobben. Erst seit wenigen Jahren ist demnach bekannt, dass sich die großen Raubtiere nicht ausschließlich, wie bisher angenommen, von Fisch und kleinen Meerestieren ernähren, sondern dass sie Jagd auf Seehunde, Schweinswale und offenbar auch andere Kegelrobben machen.
Die Kegelrobben haben abgesperrte Bereiche am Strand.
Verzögerte Schwangerschaft
Bereits jetzt, wenn die Weibchen ihre Jungen geworfen haben, sind sie wieder paarungsbereit. Deshalb häufen sich auch in diesen Tagen die Kämpfe unter den Männchen. Und damit Paarungs- und Geburtenzeit auch zeitgleich stattfinden kann, nistet sich die befruchtete Eizelle nicht sofort in der Gebärmutter ein, sondern erst etwa dreieinhalb Monate später. Im Frühjahr, wenn sich das Weibchen nach der anstrengenden Säugezeit wieder auf etwa 200 Kilogramm Körpergewicht angefressen hat, nistet sich die Eizelle in der Gebärmutter ein und das Wachstum des Fötus beginnt.
Etwa neun Monate später kommt für Biologin Ballstaedt dann wieder die besonders schöne Zeit im Jahr: Der Winter, wenn es draußen kalt und ungemütlich ist - und sich die neugeborenen Kegelrobben auf der Helgoländer Düne im Sand wälzen.