Jellyfication Mehr Quallen im Meer?
Laut einer neuen Studie können sich künftig sieben von acht Quallenarten im Arktischen Ozean ausbreiten. Gilt das für alle Meere? Und was macht das mit dem ökologischen Gleichgewicht?
Die Meeresbiologin Jamileh Javidpour von der University of Southern Denmark steht auf einem Steg an der Kieler Förde und blickt ins Wasser. Die Urlaubssaison hat begonnen - und wieder zieht es die Menschen besonders ans Meer. Dort machen einige Urlaubende Erfahrungen mit glibbrigen Meeresbewohnern. Denn auch viele Quallenarten haben im Sommer Hochsaison. Und es könnten in Zukunft noch mehr werden.
Vorbei schwimmen in eleganten, pulsierenden Bewegungen ausschließlich Ohrenquallen, deren Geschlechtsorgane wie die namensgebenden Ohren aussehen. "Aber ich gehe davon aus, dass hier auch Rippenquallen sind", sagt Javidpour. Rippenquallen sind in der Ostsee invasiv und breiten sich seit einigen Jahren immer weiter aus. Sie ernähren sich von Fischeiern und können so zum Beispiel dem ohnehin schon bedrohten Heringsbestand der Ostsee gefährlich werden.
Verquallung der Meere
Insgesamt wird seit einigen Jahren damit gerechnet, dass sich in Zukunft gelatinöse Arten, wie Quallen, immer stärker im Meer ausbreiten werden. Zum Beispiel durch den Klimawandel. "Viele Quallenarten mögen wärmeres Wasser", erklärt die Meeresbiologin Charlotte Havermans vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und der Universität Bremen.
Dazu kommen noch andere Faktoren. Durch die Überfischung gibt es weniger Fressfeinde und Konkurrenz um Nahrung. Auch dass es immer mehr feste Strukturen im Wasser, wie Offshore-Windanlagen oder Hafenkonstruktionen, und auch Plastik im Meer gibt, ist ein Vorteil für viele Quallenarten. Denn sie brauchen einen stabilen Untergrund, an den sie sich zur Fortpflanzung anheften können.
Rippenquallen breiten sich seit einigen Jahren immer weiter aus. Sie ernähren sich von Fischeiern und können so zum Beispiel dem ohnehin schon bedrohten Heringsbestand der Ostsee gefährlich werden.
Profiteure im Arktischen Ozean
Jellyfication nennt sich der Prozess von immer mehr Quallen im Meer, vom englischen Wort für Quallen: Jellyfish. Ob diese Verquallung nur in der Theorie besteht oder in der Praxis wirklich auftritt, war lange Zeit unklar.
In einem Modell für den Arktischen Ozean haben Havermans und ihre Kolleginnen und Kollegen nun die Zukunft von acht Quallenarten im Arktischen Ozean modelliert. Dabei haben sie festgestellt, dass sieben von den acht Arten in Zukunft ihr Verbreitungsgebiet mehr nach Norden ausbreiten können, weil es weniger Meereis geben wird und das Wasser auch immer wärmer wird. Zumindest im Arktischen Ozean ist demnach zukünftig mit der Jellyfication zu rechnen.
Folgen könnten drastisch sein
Was genau das für das Ökosystem bedeutet, ist noch unklar. Ein wenig lässt sich aber erahnen, was da auf die Arktis zukommen könnte. In einigen norwegischen Fjorden breiten sich schon jetzt die Kronenqualle und die Feuerqualle immer weiter aus - beides Arten, für die Forschende um Havermans auch eine Zunahme in der Arktis vorausgesagt haben.
Beide Arten ernähren sich von Fischeiern. In Norwegen haben sie so einen sehr negativen Einfluss auf die Fischbestände. "Sie können wirklich einen ganzen Fjord übernehmen. Und dann gibt es nur diese Quallen", sagt Havermans.
Hübsch, aber nicht ungefährlich: Der Kontakt mit den Tentakeln der Feuerqualle ist in der Regel ziemlich schmerzhaft.
Quallen früher im Jahr
Auch in manchen anderen Meeresbereichen wie der Ostsee sieht man schon jetzt Veränderungen bei den Quallen, sagt Biologin Javidpour. Sie hat 17 Jahre lang regelmäßig untersucht, welche Tiere in der Wassersäule zu finden sind. Dabei haben sie und ihr Team beobachtet, dass es jetzt schon früher im Jahr die sogenannten Medusen im Wasser gibt.
Das sind erwachsene Tiere, die das frühere Polypenstadium am Boden hinter sich gelassen haben und so frei im Meer schwimmen, wie wir es von Quallen kennen. Wo die Quallenblüten früher erst Ende Februar oder im März begannen, sieht man sie jetzt schon im Dezember und Januar. "Und dann bleiben sie auch länger", so Javidpour.
Lebensphasen nicht berücksichtigt
Was in der Ostsee zukünftig an Quallenmengen zu erwarten ist, sei dennoch schwer abzuschätzen. Das Modell für die Arktis könne man auf andere Meeresbereiche nicht so ohne Weiteres übertragen, so Javidpour. Außerdem sei das Arktis-Modell zwar komplett neu und innovativ, dadurch aber auch nicht ganz umfänglich. So könne es noch keine Vorhersagen zu verschiedenen Lebensphasen der Quallen treffen. Das wäre aber nötig, um konkrete Voraussagen treffen zu können.
Zurück auf dem Steg der Ostsee rechnet Biologin Javidpour in diesem Jahr aber nicht mit allzu vielen Quallen: "Da wir ein kälteres Frühjahr hatten und die Temperaturen niedrig waren, haben wir bisher nicht so viele Quallen gesehen wie letztes Jahr. Daher gehe ich nicht davon aus, dass ein sehr großes Quallenjahr wird", sagt sie. Manche Urlaubende wird es freuen.