Künstlicher Intelligenz "Wir können kreative Wesen schaffen"
Intelligente Technologien können verängstigen - oder Hoffnung machen. In der Industrie werden viele Jobs wegfallen, aber auch neue entstehen. Neil Jacobstein, Experte für Künstliche Intelligenz, sagt: Unsere Arbeitswelt wird sich massiv ändern, und die Schaffung von kreativen Wesen ist realistisch.
tagesschau.de: Sie haben eine Studie zitiert, in der prognostiziert wird, dass etwa in den OECD-Ländern mehr als 50 Prozent der menschlichen Arbeit durch intelligente Maschinen ersetzt werden könnte. In welchem Zeitraum soll das passieren?
Neil Jacobstein: Es geht dabei um eine Prognose für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre. Im Grunde genommen sagen wir, wenn wir so weitermachen wie bisher, wird ein Großteil der Jobs, die jetzt noch durch Menschen ausgeführt werden, weiter automatisiert. Das bedeutet nicht, dass Menschen automatisch ihre Jobs verlieren werden. Das ist dann eine Frage der Politik und der Unternehmen. Die Bildungsfrage spielt hier eine große Rolle, auch das Grundeinkommen.
tagesschau.de: Welche Branchen werden denn aus Ihrer Sicht besonders stark von diesem technologischen Wandel betroffen sein?
Jacobstein: Wir werden selbstfahrende Autos haben, das ist sicher. Und die gute Nachricht ist: Es wird dazu führen, dass Millionen Menschen nicht mehr durch Autounfälle sterben müssen. Wir haben die Technologie dazu, es wird Menschenleben retten. Und es wird auch Energie und Zeit sparen. Viele Dinge werden besser werden. Auch im Unterrichtsbereich wird es Veränderungen geben, individualisierte, computerisierte Lernprogramme werden Lehrerjobs ersetzen.
tagesschau.de: Wenn Ihre Prognose zutrifft, dann verlieren viele Menschen ihre Jobs, dann fallen ganze Berufszweige weg.
Jacobstein: Noch ist ja nicht klar, wie sich die Automatisierung der Arbeitswelt entwickeln wird. Aber eines steht fest: Diese neuen Geschäftsfelder - in Robotik, Nanotechnologie oder eben auch Künstlicher Intelligenz - werden sehr hohe Gewinne generieren. Daher macht es Sinn, über ein Grundeinkommen nachzudenken. Das würde dann bedeuten, dass jene etwa, die ihren Job verloren haben, sich mit einem Grundeinkommen über Wasser halten und entweder wieder in Ausbildung gehen können oder einfach ihren Hobbys nachgehen können.
"Die Systeme werden menschenähnlicher"
tagesschau.de: Sie forschen seit Jahren an Künstlicher Intelligenz und zeigen in ihren Vorträgen auch einen Ausschnitt aus "Ex Machina" - ein Kinofilm aus dem vergangenen Jahr, in dem sich ein junger Programmierer in eine Roboterfrau verliebt. Halten Sie das tatsächlich für realistisch?
Jacobstein: Es ist noch nicht real, aber realistisch. Es zeigt in eine Zukunft, in der es eben möglich sein wird, eine derartige Künstliche Intelligenz in Roboter einzubauen. Es zeigt, wie diese intelligenten Systeme mit Menschen auf eine sehr interessante Art und Weise interagieren können - und es sind Beziehungen, in denen auf einmal ein solches Thema wie etwa Vertrauen relevant wird. Diese Systeme werden zunehmend menschenähnlich und sie werden auch immer interessanter für uns. Denn: Es ist genau dieser interessierte, zugewandte Partner, den sich Menschen in ihrer Beziehungen wünschen und oft nicht bekommen.
tagesschau.de: Selbstreflexion, die menschliche Seele, Kreativität - all das sind doch Dinge, die eine Maschine weder kopieren noch tatsächlich verkörpern kann.
Jacobstein: Doch, wir können Wesen schaffen, die auch kreativ sind. Gerade im letzten Jahr wurden solche jüngsten Erfindungen bei einer Konferenz, bei der es um Genetik und Evolution ging, vorgestellt. Forscher haben einen genetischen Algorithmus vorgestellt.
Und was die Seele anbelangt: Für mich ist eine Seele das, was den Menschen in seiner Essenz ausmacht. Es ist sein Charakter, und das ist schwierig zu imitieren. Aber es gibt keine technologische Hürde. Ich glaube, wenn man auf einen wunderhübschen, freundlichen, warmherzigen Roboter trifft, dann ist man erfreut, und es ist einem in dem Moment egal, ob das nun ein Roboter ist oder nicht. Das, was wir an einem Menschen lieben, ist doch seine Programmierung: die Kindheit, seine ganzen Erfahrungen und seine Erziehung.
tagesschau.de: Haben Sie nicht manchmal selbst Angst davor, wozu diese Automatisierung führen könnte? Maschinen, die handelnde Subjekte ersetzen?
Jacobstein: Ich liege nicht nachts ängstlich wach, weil mich der Gedanke an Künstliche Intelligenz und Robotik wach hält. Ich bleibe eher nachts wach, weil ich mich vor der menschlichen Dummheit fürchte.
Das Gespräch führte Marie von Mallinckrodt, ARD-Hauptstadtstudio