Vorhersagen von Felsstürzen Wenn die "Stimme des Berges" warnt
Permafrost - das ist der Kitt, der Berge im Innersten zusammenhält. Doch er taut langsam auf, die Berge werden instabiler. Daher suchen Forscher nach einer Methode, wie sich Felsstürze besser vorhersagen lassen.
Am Matterhorn forscht der Informatiker und Geowissenschaftler Jan Beutel von der Universität Innsbruck und der ETH Zürich mit seinem Team an einer besonderen Methode. Sie wollen mit der "Stimme des Berges" künftig Bergstürze besser vorhersagen. Ihr Felslabor haben die Forscher auf 3500 Metern Höhe. Seit zwölf Jahren überwachen sie die Felsstabilität am Matterhorn.
Auslöser für die Forschung war ein Felssturz im Hitzesommer 2003. Mehrere Tausend Kubikmeter Fels waren damals abgestürzt. Noch heute sieht man die Abbruchstelle genau.
Die Forscher haben zahlreiche Messinstrumente am Matterhorn installiert. Sie messen, wie sich Felsspalten vergrößern und wie sich einzelne Felsköpfe talwärts neigen. Einen Felsturm haben die Forscher unter besondere Beobachtung gestellt. Er bewegt sich etwa 4,5 Zentimeter pro Jahr Richtung Zermatt. "Das ist außergewöhnlich viel für so einen Felsen, erläutert Beutel. "Normalerweise würde man erwarten, dass es sich so ein paar Millimeter pro Jahr bewegt. Das ist schon ein Zeichen, dass das ganze Gefüge instabil ist."
Schwingungen verstehen
Das Herzstück ihrer Forschung sind jedoch die Schwingungen der Felsen. Diese versuchen die Wissenschaftler zu entschlüsseln. Mit Seismik- und Akustik-Messgeräten hören sie in den Berg hinein.
"Wir haben verschiedene Anhaltspunkte in den Signalen gesucht und sind irgendwie darüber gestolpert", erklärt Beutel. Mit den Sensoren können sie Schwingungen in den Felsen registrieren - so etwa die anfangs noch unsichtbare Rissbildung in Felsen.
Wie ein Glas Wasser
Für Beutel ist es die "Sprache des Berges". Wenn man sie versteht, könne sie Hinweise auf Felsabbrüche geben. Die Felspartien haben je nach Jahreszeit bestimmte Schwingungsmuster. "Es ist hier wie ein Glas Wasser, das mit verschiedenem Füllstand einen unterschiedlichen Ton gibt, wenn man darauf klopft. Ein großes Volumen hat einen tiefen Ton und wenn das nur hohe Töne sind, sind das kleine Volumina", erklärt der Wissenschaftler.
Ist der Riss klein, ist auch die Felspartie, die frei schwingen kann, kleiner und erzeugt einen höheren Ton. Wird der Riss größer, wird auch der Ton tiefer. Verändert sich der Ton plötzlich, weil sich der Riss stark vergrößert, könnte dies auf einen drohenden Felsabbruch hindeuten. Vom Matterhorn gelangen die Daten über Funk und Internet in ein Rechenzentrum der ETH Zürich. Dort werden sie analysiert und ausgewertet.
Zunehmende Steinschläge und Felsstürze
Felsstürze hätten in den Alpen signifikant zugenommen, sagt Beutel. Das liege auch daran, dass die schützende Eis- und Schneeschicht wegschmilzt. Die Folge ist, dass Regen- und Schmelzwasser sehr viel einfacher in den Fels eindringen kann - der Fels werde gewissermaßen aufgeweicht. Und das führe dazu, dass es größere Hohlräume gebe und Felsteile sich zunehmend lösen.
In Brienz in Graubünden droht ebenfalls ein gigantischer Bergsturz. Um die Bewohner rechtzeitig zu warnen, wird der Berg in Brienz ebenwalls mit der Messmethode versuchsweise überwacht, aber nicht permanent, so Beutel.
Die Erkenntnisse vom Matterhorn möchte der Wissenschaftler gerne auch am Piz Cengalo einsetzen. Experten gehen davon aus, dass an dem Berg in den Bergeller Alpen noch mehr Felsen und Steine herunterstürzen könnten. Hier hat man bislang nur vom Tal aus Messungen vorgenommen, so Beutel, aber nicht direkt am Felskörper. "Es wäre unglaublich spannend in einem größeren Maßstab als hier auf dem Matterhorn zu erproben, ob diese Methode auch bei größeren Felsabbrüchen funktioniert."