Spinale Muskelathrophie Fortschritte dank teurer Gentherapie
Der fünfjährige Ben leidet unter der Spinalen Muskelatrophie - einer seltenen Erbkrankheit. Die Krankenkasse übernahm die Kosten für eine teure Gentherapie - inzwischen macht der Junge Fortschritte
"Ich gehe jetzt alleine, und schau mal: Ich stehe ohne festhalten", sagt Ben stolz. Seine Mutter ist ganz in der Nähe, falls er doch die Kraft verliert. Es sind kleine Schritte, über die sich die Familie riesig freut. Ben kämpft - und jeden Tag wird es besser. Der Fünfjährige trainiert an seinem Handbarren. "Er wird stärker, er geht gerade, am Anfang hat er sich sehr nach vorne fallen lassen", beobachtet seine Mutter Malgorzata Herrmann.
Sich selbstständig fortzubewegen war vor vier Jahren noch undenkbar. Denn schon im Alter von einem Jahr waren bei Ben die Symptome einer seltenen Krankheit sichtbar: der Spinalen Muskelatrophie, kurz SMA.
Nervenzellen im Rückenmark und Hirnstamm bilden sich zurück
Die Spinale Muskelatrophie ist eine Erbkrankheit, bei der sich Nervenzellen im Rückenmark und im Hirnstamm zurückbilden. Dadurch werden eine fortschreitende Muskelschwäche und Muskelschwund ausgelöst. Laut der "Initiative SMA" ist etwa eines von sechs bis zehntausend Neugeborenen betroffen und etwa eine von 45 Personen Überträger der Erkrankung.
Inge Schwersenz hat die "Initiative SMA" gegründet. Ihr Ziel ist es, über die Erkrankung aufzuklären: "SMA beeinträchtigt alle Muskeln des Körpers. Die Schwäche in den Beinen ist im Allgemeinen größer als in den Armen. Es kann auch die Kau- und Schluckmuskulatur betroffen sein. Die Beteiligung der Atemmuskulatur, die für die Aufnahme von Sauerstoff und das Abhusten zuständig ist, kann zu einer erhöhten Anfälligkeit für Lungenentzündungen und zu anderen Problemen mit der Lunge führen", so die kurze Zusammenfassung der heimtückischen Krankheit.
"Millionenspritze" nur für Babys und Kleinkinder
Im März 2020 liegen alle Hoffnungen der Familie Herrmann auf einer Gentherapie, die zunächst nur in den USA zugelassen ist. In Deutschland hat das Medikament Zolgensma zu diesem Zeitpunkt noch keine Zulassung und kostet fast zwei Millionen Euro. Aufgrund des hohen Preises ist das Präparat in der Bevölkerung als "Millionenspritze" bekannt.
Für die Eltern beginnt ein verzweifelter Wettlauf mit der Zeit: Denn um den Muskelschwund zu stoppen, braucht Ben das Medikament vor seinem zweiten Geburtstag. "Viele Eltern freuen sich auf den Geburtstag, wir schauen dem mit Schrecken entgegen - natürlich haben wir Angst, das auch nicht zu schaffen", sagte seine Mutter damals im März 2020. Familie Herrmann gibt nicht auf - versucht, das Geld durch Spenden aufzubringen. Sie startet im Internet eine Kampagne für ihren Sohn, Tausende Menschen unterstützen die Familie, das ganze Dorf sammelt für Ben. Mehr als eine Million Euro kommen zusammen.
Krankenkasse zahlt die Behandlung
Einige Wochen später, im April 2020, kommt die erlösende Nachricht. Die Krankenkasse will die Kosten für die Therapie übernehmen. "Es waren drei Schlagwörter in meinem Kopf: sprachlos, dankbar, überglücklich", freut sich Malgorzata Herrmann. Vater Christian Herrmann sagt damals: "Wenn der Ben es mal schafft, mit mir einen Ball durch den Garten zu kicken, dann ist es das Größte und Schönste, was mir passieren kann." Die gesammelten Spenden übergeben die Herrmanns der Deutschen Muskelstiftung.
Wenige Monate später, im Juli 2020, erhält Zolgensma in Deutschland eine Zulassung. Als Genersatztherapie wird es einmalig intravenös verabreicht. Allerdings ist es nur für Babys und Kleinkinder zugelassen. "Sie können das nicht einem Erwachsenen geben, die Leber würde kollabieren. Ab einem bestimmten Gewicht funktioniert das nicht mehr", sagt Inge Schwersenz von der Initiative SMA. Auch Kinder müssten parallel Cortison verabreicht bekommen, damit die Leber nicht versagt.
Weitere Medikamente auf dem Markt
Neben Zolgensma gibt es zwei weitere Medikamente, die in Deutschland zugelassen sind. Seit 2017 ist Spinraza erhältlich, ein Medikament, welches alle vier Monate mittels einer sogenannten Lumbalpunktion in den Spinalkanal injiziert wird. Seit 2021 ist mit Risdiplam zudem ein täglich oral einzunehmendes Medikament verfügbar.
Die Eltern von Ben hoffen nun auf die Wirkung der Zolgensma-Spritze und sehen bereits Verbesserungen. Heute kann Ben immerhin schon vieles, was er sonst vielleicht nie gekonnt hätte. Ihn bei seinen Fortschritten zu beobachten - für die beiden pures Glück. "Uns geht es gut, den Kindern geht es gut. Ben und Pia sind glücklich, und wir sind glücklich, weil unsere Kinder glücklich sind. Ich glaube, mehr kann man sich nicht wünschen", so Mutter Malgorzata Herrmann.
Wie sich Ben weiterentwickelt, ob er irgendwann richtig laufen kann, wird sich zeigen. Langzeitstudien gibt es nicht. Ben gehört zu den ersten zehn Kindern in Deutschland, die mit der neuen Therapie behandelt wurden.